Wenn ein Kaltlufttropfen in die Suppe spuckt…
Rückseitig einer nach Osteuropa abgezogenen Kaltfront ist der Luftdruck bereits stark gestiegen. Eine Hochdruckzone hat sich von der nördlichen Iberischen Halbinsel bis ins östliche Mitteleuropa aufgebaut. Der Schwerpunkt des Hochs, das auf den Namen Charly hört, liegt dabei über Süddeutschland und den Alpen. Bis zum Wochenende kann sich Charly noch weiter kräftigen, verschiebt seinen Schwerpunkt allerdings mehr ins östliche Mitteleuropa und zum nördlichen Balkan (siehe Abbildung 1).
Anhand der Konstellation wäre nun anzunehmen, dass sich vielfach sonniges und trockenes Wetter über die nächsten Tage einstellt. Für viele Regionen mag das stimmen. Allerdings erhalten in den Herbst- und Wintermonaten bei hohem Luftdruck und windschwachen Verhältnissen oftmals die Spielverderber „Nebel und Hochnebel“ ein Mitspracherecht. In den kommenden Tagen schaut man insbesondere in den Flussniederungen oder größeren Senken des Südens und der Mitte sprichwörtlich in die Röhre. Die durchaus zähen Nebel- und Hochnebeler mindern die Sonnenausbeute erheblich oder lösen sich zum Teil tagsüber gar nicht auf. Die Höchstwerte verharren in den betroffenen Regionen dann signifikanter im einstelligen Bereich als im Rest des Landes.
Wolkenreiches und zudem nasses Wetter unter Hochdruckeinfluss? Klingt zunächst nach einem Widerspruch, lässt sich aber einem weiteren Störenfried zuschreiben: Einem sogenannten Kaltlufttropfen. Wetterkarten, die in Zeitungen, TV oder anderen Medien verbreitet werden, bilden in aller Regel nur die Luftdrucksituation am Boden ab. In der Wettervorhersage ist es allerdings wichtig die Atmosphäre dreidimensional zu betrachten, sodass höhere Luftschichten enorm wichtig sind. Eines dieser wichtigen Höhenniveaus liegt auf etwa 5500 m (500 hPa). Hier lassen sich ebenfalls Tiefs und Hochs finden. In den mittleren Breiten laufen diese wellenförmig um den Globus und werden Keile (Hochs) und Tröge (Tiefs) genannt. Manchmal bilden sich auch abgeschlossene Druckgebilde, die entsprechend ihren Bodenpendants Höhenhoch oder Höhentief getauft werden. Die Entwicklung am Boden ist in aller Regel mit den höheren Luftschichten gekoppelt. In den aktuellen Höhenwetterkarten lässt sich die Etablierung eines umfangreichen Höhenhochs über Mitteleuropa erkennen. Leicht östlich davon verschoben, befindet sich unser oben schon erwähntes Bodenhoch. Zuweilen kommt es jedoch vor, dass, wenn man auf das Barometer schaut, sich etwa Höhentiefs überhaupt nicht am Boden widerspiegeln. Diese sogenannten „Kaltlufttropfen“ sind meist mehr oder weniger kleinräumigere kreisförmige Gebilde mit einer zyklonalen Rotation (gegen den Uhrzeigersinn), die im Vergleich zur Umgebung mit kälterer Luft angereichert sind.
Die Krux bei diesen Kaltlufttropfen ist jedoch, dass sie regelmäßig die Wettermodelle vor größere Schwierigkeiten stellen. Bildlich gesprochen könnte man auch sagen, dass sie wie ein Fettauge in der Suppe herumwabern. Ein gutes Beispiel ist die Entwicklung in den kommenden Tagen. Recht sicher ist, dass sich über Osteuropa ein Höhentief ausbildet und von dort kommend einen Bogen schlagen wird vom Balkan über Italien und die Westalpen. Zum Montag erreicht er dann den Südwesten und Westen Deutschlands. Also wandert quasi fast einmal im Uhrzeigersinn um unser Höhenhoch herum. Das zeigen zumindest die aktuellsten Versionen des deutschen (ICON) und europäischen (ECMWF) Modells von heute Morgen (siehe Abbildung 2 und 3). Beim genauen Timing sind sich die beiden Modelle jedoch auch noch nicht einig. Zieht man nun noch das amerikanische Modell (GFS) hinzu, wird es nicht besser. Das GFS möchte den Kaltlufttropfen bis Montagmittag eher über die zentralen Ostalpen nach Süddeutschland ziehen lassen (Abbildung 4).
Aber selbst innerhalb eines Wettermodells gibt es bei Höhentiefs oft große Unterschiede. Das ICON Modell wollte etwa vor zwei Tagen das Höhentief noch über dem Mittelmeer „vergammeln“ lassen. Und das GFS Modell hatte im gestrigen Abendlauf den Kaltlufttropfen noch über der Appenninhalbinsel. Durch ihre Kleinräumigkeit bleibt ihr Verhalten also auch für die Modelle meist schwer berechenbar, insbesondere ihre Zugbahn.
Wie könnte der Kaltlufttropfen nun mit allen Unsicherheiten das Wetter zum Montag beeinflussen? Durch das Absinken der Höhenkaltluft im Kern des Tiefs im Vergleich zur deutlich wärmeren Luft im Bodenniveau setzen vertikale Umlagerungen ein. Bei ausreichend verfügbarer Luftfeuchte führt dies nach aktuellem Stand im Südwesten (ECMFW und ICON) oder gesamten Süden (GFS) zu wolkenreichem Wetter mit kräftigeren Schauern oder auch Gewittern. In den Niederschlagsprognosen für den kommenden Montag spiegeln sich die Unsicherheiten der Zugbahn wider. Man könnte also auch resümieren, dass der Kaltlufttropfen dem Hochdruckwetter in die Suppe spuckt.
M.Sc Sebastian Altnau ( Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 10.11.2022
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