In Zeiten der fortschreitenden Veränderung des Klimas sind Wärme- bzw. Hitzerekorde mittlerweile eine traurige Routine geworden. Umso mehr fallen jedoch Ereignisse auf, die mit sehr kalten und nicht selten auch rekordverdächtigen Werten einhergehen.
So geschehen Mitte/Ende Januar 2023 in Teilen Asiens, wo eisige Werte gemessen wurden. Tongulah (Sibirien, Russland) vermeldete -62.7 Grad (Rekord), Mohe (China) -53 Grad (nationaler Rekord) oder Nokkundi in Pakistan rund -10 Grad. Im Dezember 2022 erfolgte zum Monatesende über den USA ein heftiger Kaltluftausbruch mit einigen Rekorden. Diese Aufzählung ist natürlich unvollständig, kann jedoch Jahr für Jahr in der Vergangenheit zurückverfolgt werden. Schaut man sich geschichtliche Ereignisse an, die vom Wetter beeinflusst wurden, dann kann man als Grund u.a. auch den Einfluss eines Polarwirbels in der Troposphäre ausmachen. Ein Beispiel stellt der eisige Winter 1941/42 in Teilen Skandinaviens und Russlands dar, der damals z.B. im kälteresistenten Schweden für einen neuen winterlichen Maßstab sorgte und auch maßgeblich den Angriffskrieg der Deutschen beeinflusste. Die entsprechenden beeindruckenden Anomalien als Beispiel vom 24. Januar 1942 sind in Bild 1 zu sehen.
Mittlerweile haben schon viele den Begriff „Polarwirbel“ vernommen, nachdem dieser während eines massiven Kaltluftausbruchs in den USA im Jahre 2014 von nordamerikanischen Medien aufgegriffen und in der Folge auch von der internationalen Presse verwendet wurde. Doch leider, wie so oft, werden wissenschaftliche Begriffe und Definitionen in der Mühle der Massenmedien verfälscht bzw. ungenau oder gar falsch weitergegeben, sodass als Folge häufig eine verwirrende Vermengung der Begrifflichkeiten erfolgt.
Wenn man vom Polarwirbel spricht, dann eigentlich im Kontext des „Polarwirbels in der Stratosphäre“, der durch den Polarnachtjet abgegrenzt und durch ein winterliches Strahlungsdefizit angetrieben wird. Daher ist dieses Phänomen auch auf die winterlichen Monate beschränkt (mit zeitlichen Unschärfen im Herbst und Frühling, je nach Intensität des Wirbels). Dieser Wirbel kann als Folge komplexer Wellendynamik teils geschwächt werden und auch ggf. mit der Troposphäre interagieren – ein Thema, das momentan wieder aktuell ist.
Dann gibt es noch den Polarwirbel in der Troposphäre, der das ganze Jahr über existiert, jedoch keiner einheitlichen Definition unterworfen ist. Vorhandene Erklärungen beschreiben im Endeffekt keine einzige und zusammenhängende, globale Zirkulation in den jeweiligen Hemisphären, wie es in der Stratosphäre der Fall ist. Daher ist anstatt des Begriffs eines Polarwirbels eher die variable Wellenzahl z.B. von planetaren Wellen zu verwenden, die mit dem Jetstream in der Troposphäre verknüpft ist (sei es der Polarfront- oder der Subtropenjet).
Zuletzt kommen wir zum Begriff eines sogenannten „tropopause polar vortex, abgekürzt TPV„, der im heutigen Thema des Tages unser eigentliches Hauptinteresse darstellt, wobei man nun erkennt, dass dieser Name doppeldeutig verwendet wird.
Nach der Definition handelt es sich hierbei um ein sub-synoptisch skaliges System, das durch ein starkes Absinken der Tropopause gekennzeichnet ist und das durch den arktischen Jet begrenzt wird. Innerhalb eines TPV sinkt die potenziell wärmere, trockenere und stabil geschichtete Luft aus der Stratosphäre sehr weit nach unten in die Troposphäre und wird besonders aggressiv beim Überstreichen (relativ gesehen) warmer Meeresoberflächen „diabatisch“ angegriffen/geschwächt. Dabei treten solche „Wirbel“ nicht selten wiederholt über bestimmten Regionen auf, wie z.B. über Kanada, die dann entsprechende Namenszusätze erhalten (hier z.B. der „kanadische TPV„). Die kontinental geprägte und durch fortwährende Auskühlung geprägte Luftmasse im Umfeld eines TPV sorgt für teils intensive Kaltluftausbrüche, die weit in die Außertropen vorstoßen können. Komplexer wird das Ganze noch dadurch, dass dieser TPV ggf. mit dem Polarwirbel in der Stratosphäre interagieren kann. Zudem können gleichzeitig mehrere solcher TPV´s zirkumpolar auftreten, die Lebenszeiten von Tagen bis Monaten aufweisen. Beim Erreichen der Außertropen werden die TPV´s nicht selten von extremen Folgeerscheinungen wie intensiven Zyklonen begleitet, da sich beim Vermischen der kalten und z.B. maritim geprägten milderen Luftmassen extreme Temperaturgegensätze aufbauen, die den Nährboden für kräftige Tiefdruckentwicklungen darstellen.
Doch die Darlegung der unterschiedlichen Definitionen ist das eine, die Verwendung eines Beispiels aus der Realität ist das andere. Daher schauen wir uns in der Folge einen TPV an, der Anfang Februar 2023 den Osten Kanadas und den Nordosten der USA heimgesucht hat.
In Bild 2 links erkennt man die Darstellung des TPV an Hand der isentropen potenziellen Vorticity, was grob gesagt vom Aussehen her nichts anderes ist als die Darstellung des Geopotenzialfeldes, nur mit einer detaillierteren Auflösung. Höhere Werte der IPV (die das Einbeziehen stabil geschichteter wärmerer Luftmassen aus der Stratosphäre andeuten) erstrecken sich von Kanada ausgehend bis in den Nordosten der USA, wobei die Verwendung dieses Parameters auch für die Definition eines TPV herangezogen wird. Dies wird hier nicht weiter vertieft, soll jedoch als Hinweis dienen, wieso hier nicht auf das Geopotenzial zurückgegriffen wurde.
Rechts im Bild 2 wurde die Temperatur in 850 hPa eingetragen, also in rund 1.3 bis 1.5 km Höhe über Grund. Man sieht, dass den TPV eine bitterkalte Luftmasse mit Werten von deutlich unter -30 Grad begleitet hat, die direkt in Richtung Nordatlantik gelenkt wurden. Handelt es sich (wie bei diesem Ereignis) um einen rasch ziehenden TPV, dann ist der „Kältespuk“ schnell wieder vorbei. Anders jedoch sieht es aus, wenn sich so ein TPV über längere Zeit vor Ort einnistet, was u.a. häufig über Kanada der Fall ist. Die Folge sind dann langanhaltende, eisige Bedingungen.
Solch ein TPV ist nicht selten von einem sehr kräftigen arktischen Höhenjet begleitet, der dank der extremen Temperaturgegensätze diesen in der oberen Troposphäre flankiert. In unserem Beispiel erreichte der Höhenwind östlich des TPV (mit dem Subtropenjet verschmelzend) Windgeschwindigkeiten von über 350 km/h – wirklich extreme Werte und auch klimatologisch außergewöhnlich. Entsprechend dynamisch gestaltete sich das Wetter in Form rasch fallenden Luftdrucks am Rand des Jets, was in diesem Fall für die Bildung eines 960 hPa Sturmtiefs in der Nähe von Neufundland sorgte. Wie wir noch sehen werden verursachten die extreme Kälte und die angesprochenen Windgeschwindigkeiten imposante Temperaturwerte bei der gefühlten Temperatur.
Die Dynamik dieses Sturmtiefs ist auch vom Satelliten aus sehr gut zu erkennen. In Bild 4 werden dabei die variablen Luftmassen und Höhenbereiche farblich unterschiedlich eingezeichnet. Zum Beispiel erkennt man schön, wie von Süden über den Nordatlantik warme Luftmassen nordwärts geführt werden (grünliche Einfärbung), während von Westen eine besonders in der Höhe sehr trockene Luftmasse den Nordatlantik erreicht hat (trocken, da es sich hier zum Teil um eine Luftmasse aus der Stratosphäre gehandelt hat). Die zellenartige Wolkenstruktur deutet zudem das Überstreichen eisiger Luftmassen über dem vom Golfstrom erwärmten Meer an, während der Gradient von hoher weißer Bewölkung hin zu brauner Einfärbung die Position des Jets darstellt.
Aber nicht nur in der oberen Troposphäre, sondern auch in 2 m Höhe sackten die Temperaturwerte auf teils deutlich unter -30 Grad ab, was für viele Bereiche Kanadas die kälteste Luftmasse seit 2019 darstellte (Bild 5). Zusammen mit dem Wind wurden beeindruckende Werte der gefühlten Temperatur gemessen, die bei teils unter -40 Grad lagen. Dies sind Werte, bei denen man innerhalb kürzester Zeit Erfrierungen bekommen würde, sollte man der Kälte ungeschützt ausgesetzt sein. Den Vogel schoss jedoch der 1917 m hohe Mount Washington im US-Bundesstaat New Hampshire ab, wo bei Windgeschwindigkeiten von teils über 180 km/h und Temperaturwerten von unter -40 Grad ein Windchill von bis zu -78 Grad gemessen wurde (roter Kasten im Bild 6). Dies würde nach endgültiger Überprüfung einen neuen Rekord des Windchills für Nordamerika darstellen.
Wegen des raschen und extremen Temperaturrückgangs traten in vielen Regionen Kanadas dank des zügig gefrierenden Wassers im Erdreich sogenannte „cryoseism“ (deutsch für Eisbeben) auf, die sich anfühlen und anhören wie schwache Erdbeben und letztendlich auch nichts anderes sind. Der Boden wird durch das „Schockfrosten“ regelrecht aufgesprengt.
Übrigens fand dieses Ereignis in den Massenmedien eine hohe Resonanz, was vor allem an der Vermutung lag, dass der Gipfel vom Mount Washington während der Passage des TPV kurzzeitig in die Stratosphäre hineinragen könnte. Wie man sich das bildlich vorstellen kann ist, in Bild 7 grafisch dargestellt.
Dabei erkennt man in Bild 7a), dass an der Station Maniwaki der untere Bereich der Stratosphäre (flankiert von der Tropopause und rot strichliert) auf rund 800 hPa absank, im rund 550 km südlicher gelegenen Mount Washington nicht ganz so tief, sodass letztendlich der Gipfel knapp außerhalb der Stratosphäre verblieb, was auch an einem fehlenden Ausschlag der Ozonmessungen deutlich wurde, die sonst in der ozonreicheren stratosphärischen Luftmasse deutlich höhere Werte hätten anzeigen müssen.
Beim Vergleich von Bild 7a) mit 7b) erkennt man, wie massiv die Stratosphäre innerhalb eines TPV absinken und nach Durchzug des TPV wieder ansteigen kann.
Dass solche TPVs auch uns in Mitteleuropa erreichen, ist nicht unmöglich, wenngleich vieles passen muss, wie z.B. die richtige synoptische Druckkonstellation oder eine gute Schneebedeckung in Nordeuropa, um uns ungefiltert mit eisiger Polarluft zu „frosten“. Wenn man sich die aktuelle Entwicklung in der Stratosphäre anschaut, kann man nicht ausschließen, dass wir noch in diesem März in Nord- oder Osteuropa von einem solchen Ereignis sprechen könnten – wenngleich das nicht wünschenswert wäre.
Dipl. Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 20.02.2023
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