Einleitung – Wozu sind Maßzahlen und die Phänologie wichtig?
Zur Beurteilung der sommerlichen oder winterlichen Witterung, kann man sich verschiedener Maßzahlen bedienen. Um die Strenge eines Winters einordnen zu können, nutzt man beispielsweise die Kältesumme – Die Summe aller negativen Tagesmitteltemperaturen über einen bestimmten Zeitraum. Darüber wurde beispielsweise im Thema des Tages vom 07.02.2022 geschrieben. Das Gegenstück dazu ist die sogenannte Wärmesumme, die einfach alle positiven Tagesmitteltemperaturen aufsummiert.
Zur Beurteilung des aktuellen Zustandes der Vegetation kann die Phänologie genutzt werden, die sich mit jährlich wiederkehrenden Entwicklungserscheinungen in der Natur befasst. Bestimmte Maßzahlen und phänologische Erscheinungen sind für den Landwirt und Hobbygärtner wichtige Orientierungspunkte, um den Fortschritt der Vegetation einordnen zu können und darauf basierend seine gärtnerischen Arbeiten zu planen.
Von Phänologischen Jahreszeiten
Zunächst soll es ein paar Erläuterungen zur Phänologie und der Einordnung des aktuellen Zustandes der Natur geben. Es gibt insgesamt zehn phänologische Jahreszeiten: Winter, Vorfrühling, Erstfrühling, Vollfrühling, Frühsommer, Hochsommer, Spätsommer, Frühherbst, Vollherbst und Spätherbst.
Im Gegensatz zu den meteorologischen und kalendarischen Jahreszeiten gibt es beim phänologischen Kalender keine festgeschriebenen Daten. Vielmehr orientiert sich der Beginn einer Jahreszeit an bestimmten Zeigerpflanzen. Ein Netz von etwa 400 Sofortmeldern meldet tagtäglich den aktuellen Entwicklungsstand der Pflanzenwelt.
Derzeit befinden wir uns beispielsweise im Erstfrühling, dessen Beginn durch die Blüte der Forsythie angezeigt wird. Der darauffolgende Vollfrühling beginnt dann schließlich mit Beginn der Apfelblüte. Im vieljährigen Mittel von 1991 bis 2020 ist dies normalerweise am 26.April soweit (1961-1990: 08. Mai).
Zeitiger Start des Erstfrühlings
Der Erstfrühling ist in diesem Jahr schon sehr zeitig gestartet. Während im vieljährigen Mittel der Start für den 25. März angesetzt ist, ging es im Flächenmittel über Deutschland in diesem Jahr schon am 10.03.2023 los. Damit startete die Blütezeit der Forsythie bereits 15 Tage früher als üblich. Im Vergleich zu 1961 bis 1990 (07. April) sind es sogar ganze 28 Tage und damit fast einen Monat eher. Im Südwesten Deutschlands war der Blühbeginn in bevorzugten Gebieten sogar nochmal deutlich früher. Die langjährige Messreihe aus Geisenheim meldete in diesem Jahr bereits am 20.Februar den Auftakt zur Forsythienblüte. Das war einer der frühesten Zeitpunkte seit Beginn der Aufzeichnungen, nur noch getoppt vom Jahr 2002 (09. Februar). Die Zeitreihe von Geisenheim zeigt sehr deutlich den Sprung zwischen 1961-1990 und 1991-2020. Auch erkennt man, dass sich in den letzten zehn Jahren die Verfrühung weiter fortgesetzt hat.
Über Deutschland gibt es natürlich große Unterschiede zwischen klimatisch bevorzugten Gebieten und Regionen mit einer gemeinhin kühleren Witterung. In Bayern ist der Erstfrühling zum Beispiel noch nicht überall angekommen. Und neben der Lage in Deutschland entscheidet natürlich auch die Höhenstufe über den Werdegang der Natur.
Abschließend sei bemerkt, dass mittlerweile auch alle Nutzer der WarnwetterApp Meldungen zum aktuellen Entwicklungsstand an ihrem Ort absetzen können. Siehe dazu auch:
Grünlandtemperatur
Eine andere Möglichkeit den Entwicklungsstand der Natur objektiv zu beurteilen sind verschiedene Temperaturmaße. Ein Klassiker ist die Grünlandtemperatur. Diese Temperatursumme ist der oben angesprochenen Wärmesumme sehr ähnlich. Auch bei dieser Maßzahl werden die positiven Tagesmitteltemperaturen addiert, aufgrund des geringeren Sonnenstandes werden diese allerdings im Januar noch mit dem Faktor 0.5 und im Februar mit 0.75 multipliziert.
Mit langjährigen Beobachtungen kann man schließlich anhand der Summe Abschätzungen machen, wie weit die Pflanzenwelt gerade ist. Eine wichtige Schwelle ist die 200 K Marke, die allgemein als Vegetationsbeginn angesehen wird. Dies ist auch der Zeitpunkt, wenn man in aller Regel die Düngeausgabe beginnt. Startet man früher ist der Dünger von der Bodenwelt nicht umsetzbar und geht unnötig verloren.
Den aktuellen Stand der Grünlandtemperatursumme in Deutschland erkennt man anhand ausgewählter Stationen in Deutschland. Mancherorts sind bereits Werte bis 300 K erreicht, während im Südosten und Nordosten noch nicht überall der Vegetationsbeginn erreicht ist. Im höheren Bergland ist man natürlich noch recht weit davon entfernt.
Korrelation Grünlandtemperatur und Phänologie
Dass es einen Zusammenhang zwischen Phänologie und der Grünlandtemperatursumme gibt, lässt sich erkennen, wenn man den Beginn der Forsythienblüte mit dem Start der Vegetationsperiode (Grünlandtemperatursumme 200 K) vergleicht. Die Unterschiede (mal früher, mal später als Erreichen der 200 K Marke) zeigen aber auch, dass nicht die Temperatur allein über die Entwicklung der Natur entscheidet. Einfluss haben auch Faktoren wie Sonne und Niederschlag oder auch vorübergehende Unterbrechungen in der Natur durch spätwinterliche Einbrüche.
Verschiebungen Forsythienblüte und Vegetationsbeginn
Auffällig ist auf jeden Fall, dass in der Vergangenheit die Forsythienblüte in der Regel erst nach Erreichen der magischen 200 K- Marke einsetzte (1961-1990), während 1991 bis 2020 der Blühbeginn (zum auch deutlich) vor dem allgemeinen Vegetationsbeginn eingesetzt hat. Ein möglicher Grund dafür könnte die deutliche Zunahme der Sonnenscheindauer im Frühjahr sein.
Aufsummierte Grünlandtemperatur am Beispiel Frankfurt am Main
Die vorübergehenden spätwinterlichen Kaltlufteinbrüche lassen sich auch gut bei der Betrachtung der Entwicklung der Grünlandtemperatursumme für Frankfurt am Main verfolgen. In der Grafik sind alle Jahre seit 1988 dargestellt, wobei einige kalte und warme Jahre sowie die Jahre seit 2020 bunt eingefärbt wurden. Der bisherige Rekord für die Grünlandtemperatursumme bis 31. März, stammt aus dem Jahr 1994 und das trotz einer mehr als 10-tägigen Pause rund um die zweite Februardekade.
Andere Maßzahlen
Zu guter Letzt gibt es noch einige andere gern verwendete Maßzahlen. So gibt es noch die sogenannten Wachstumsgradtage, mit den ebenfalls bestimmte phänologische Erscheinungen von Pflanzen vorhergesagt werden können. Die Berechnung dieser Maßzahl ergibt sich als Durchschnitt aus täglicher Minimum- und Maximumtemperatur in Differenz zu einem Basiswert von 10 Grad. Positive Werte werden fortwährend aufsummiert.
Für die Sommermonate wird gerne auch eine andere Wärmesumme berechnet. Dabei werden die Tagesmitteltemperaturen addiert und die Differenz zu 20 Grad genommen. Diese Summe dient dann als Anhaltspunkt zur Prognose der Reife von landwirtschaftlichen Produkten.
So nun aber genug von Maßzahlen und Statistiken … auf in den Garten oder die Natur!
Dipl.-Met. Marcus Beyer
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 18.03.2023
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