Gletscher ist nicht gleich Gletscher
Gletscher sind aktive, dynamische Komponenten unseres Klimasystems und existieren in allen geografischen Zonen der Erde. Dabei werden die Gletscher in drei Regime unterteilt: Temperiert, kalt und polythermal. Im heutigen Thema des Tages gehen wir den Begriffen auf den Grund und klären, in welchen Regionen die jeweiligen Regime anzutreffen sind.
Gletscher sind nicht nur wichtig für das Klima, sondern prägen durch Rückzüge und Vorstöße die Landschaften. Etwa 10 % der heutigen Festlandsfläche wird von Gletschern oder Inlandseismassen bedeckt. Gletscher lassen sich am besten als aus Schnee hervorgegangene Eismassen beschreiben, die sich talwärts bewegen, bis diese durch Schmelzen, Zerbrechen und Verdunsten (im Zehr- oder auch Ablationsgebiet) wieder abgebaut werden. Sowohl an und in der Nähe der Pole sowie in den Hochgebirgen jenseits der Schneegrenze findet man Gletscher. Sie benötigen zur Entstehung ausreichend Schneefall und niedrige Temperaturen über einen langen Zeitraum. Im Laufe der Zeit (mehrere Jahre bis Jahrzehnte) kommt es zur genügend großen Ansammlung von Schneemassen, die als Akkumulation bezeichnet wird. Frisch gefallener Neuschnee besteht zunächst aus Schneekristallen und mit Luft gefüllten Hohlräumen. Die Dichte liegt bei etwa 60 g/m3 und der Luftgehalt bei ca. 90 %. Durch die Auflast von neuen Schneeschichten werden die tieferen Schichten zusammengepresst und der Druck steigt. Auch Schmelz- und Gefrierprozesse verdichten die Schneedeckte weiter und es entsteht zunächst Firn mit einem Luftgehalt von ca. 60 % und später Firneis (Luftgehalt ca. 30 %). Nach weiterer anhaltender Kompression entsteht schließlich Gletschereis mit einer Dichte von etwa 900 kg/m3. Der Luftanteil kann dabei bis auf etwa 2 % zurückgehen. Dieses Gletschereis weist häufig eine bläuliche Farbe auf. Ab einer Mächtigkeit von etwa 30 m fangen Gletscher unter dem Einfluss der Schwerkraft an, sich zu bewegen. Dabei schieben die höher gelegenen Teile des Gletschers tiefer gelegene Abschnitte an. Der dabei entstehende Druck wird durch eine Fließbewegung des Eises abgebaut. Der Gletscher beginnt zu „fließen“. Da die Prozesse der Akkumulation, Ablation und Metamorphose von Schnee in Eis je nach Temperatur und Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von flüssigem Wasser so unterschiedlich ablaufen, ist es üblich, Gletscher nach ihrem thermischen Zustand zu klassifizieren. Hierbei ist der Hauptunterschied der Druckschmelzpunkt oder auch die Druckschmelztemperatur. Darunter versteht man den Effekt, dass sich der Schmelzpunkt bzw. Schmelztemperatur von Eis an dessen Basis sich durch den Auflagedruck überlagerter Massen erniedrigt. Pro 100 m Eisdicke sinkt der Schmelzpunkt um etwa 0,06 Grad. Die Temperaturen des Eises oder des Wassers werden aber auch noch durch weitere Prozesse gesteuert. Zum einen kommt es an der Oberfläche des Gletschers durch Strahlung und Luftmassenaustausch zu Energiezufuhr und -abgabe. Zum andern kann Sicker- oder Regenwasser durch Spalten zum Grund gelangen. Temperierte oder warme Gletscher sind vor allem von den mittleren (z.B. Alpen) über die subtropischen (z.B. Himalaya) bis sogar in die tropischen Breiten (z.B. Kilimandscharo) verteilt. Bei diesen Gletschern befindet sich die Temperatur des Eises meist um den Gefrierpunkt und somit in der Nähe des Druckschmelzpunktes. Sie produzieren ganzjährig Schmelzwasserabflüsse, was zusammen mit dem niedrigen Druckschmelzpunkt zur Entstehung eines Wasserfilms an der Gletschersohle führt. Dieser Wasserfilm fungiert sozusagen als „Schmiermittel“, denn er setzt die Reibung an der Kontaktfläche herab und begünstig die Fließbewegung des Eises. Man spricht dann vom „basalen Gleiten“. Bei Unebenheiten an der Gletschersohle kann es allerdings zu kleinräumigen Temperaturschwankungen um den Druckschmelzpunkt kommen. Eine Folge davon wäre die Regelation, also dem Schmelzen und Wiedergefrieren des Eises. Insgesamt reagieren temperierte Gletscher empfindlicher als kalte Gletscher auf Masse- bzw. Druckverlagerungen sowie auf Temperatur- bzw. Klimaveränderungen. Das Gegenstück sind die kalten Gletscher, die hauptsächlich in polaren Gebieten der Erde anzutreffen sind. Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal zum temperierten Gletscher ist die Eistemperatur. Dieses liegt deutlich unter dem Druckschmelzpunkt. Beispielsweise liegt die Temperatur im Inneren des grönländischen Eisschildes etwa zwischen -13 und -25 Grad. An der Gletschersohle befindet sich dann kein Wasserfilm, sondern das Eis ist am Untergrund festgefroren. Kommt es in Folge der Bewegung des Gletschers zu Druck- oder Zugbeanspruchung, so reagiert das Eis spröde. Die Bewegung kennzeichnet sich durch plastische Deformation. Oder das Eis kommt vorwiegen in einer Blockschollenbewegung über den Untergrund oder entlang von Scherfläche zum Gleiten. Insgesamt bewegen sich kalte Gletscher kaum und reagieren nur träge auf Temperatur- bzw. Klimaänderungen. Zu guter Letzt gibt es noch die polythermalen Gletscher der subpolaren und auch polaren Breiten. Dieser Typus verbindet sowohl temperierte, als auch kalte Eistemperaturen. Typischerweise liegt das Eis an den Seitenrändern und der Vorderkante sowie an der Oberfläche unter dem Druckschmelzpunkt. Diese Bereiche sind so eher typisch für kalte Gletscher. Währenddessen befindet sich die Eistemperatur im dickerem Eis weiter oben im Akkumulationsgebiet nahe dem Druckschmelzpunkt, wodurch ein Merkmal der temperierten Gletscher erreicht wird. Somit weisen besonders polythermale Gletscher ein starkes Temperaturgefälle auf. Viele kleine Gletscher auf Spitzbergen sind polythermal aber auch der Gletscher „Storglaciären“ im Norden Schwedens zählt dazu. Auch der Antarktische Eisschild ist zum Teil polythermal, denn schätzungsweise bis zu 55 % des Eises an der Sohle könnte nahe am Druckschmelzpunkt sein. Zum Beispiel können die großen Eisströme und Auslassgletscher auf einem Wasserfilm gleiten oder es gibt Regionen die von einem subglazialen See unterlegt sind. Zusammengefasst ist das thermische Regime sehr wichtig, um die Dynamik – also Bewegung und Fließgeschwindigkeit abhängig von der Eistemperatur, Eisdicke und äußeren meteorologischen Einflüssen -von Gletschern zu verstehen.
M.Sc.-Met. Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach, den 12.03.2021
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst