Von der Stromlinie zur Trajektorie

Heute beschäftigt sich das Thema des Tages mit dem Unterschied zwischen Stromlinien und Trajektorien.

Die Begriffe „Stromlinie“ und „Trajektorie“ werden umgangssprachlich oft in ähnlicher Weise, wenn nicht sogar als Synonym verwendet. Dabei gibt es, wenig überraschend, einige wesentliche Unterschiede zwischen diesen beiden physikalischen Größen.

Im täglichen Leben ist dabei wohl häufiger von Stromlinien als von Trajektorien die Rede. Stromlinien beschreiben die Bewegungsrichtung eines Teilchens in einer Flüssigkeit oder einem Gas. Nimmt man an, dass die Teilchen in der Flüssigkeit oder dem Gas eine sehr geringe (theoretisch sogar gar keine) Masse haben, so beschreiben die Stromlinien sogar exakt die Verlagerung der Teilchen in der Strömung.

Technisch werden Stromlinien (von Gasen) gerne im Windkanal mit Hilfe von Rauch sichtbar gemacht. Stromlinienförmige Fahrzeuge sollen dem Fahrtwind möglichst wenig Angriffsfläche bieten. Bei Flugzeugen ist eine stromlinienförmige Struktur sowieso essentiell, ein sogenannter „Strömungsabriss“, also der Verlust des Auftriebs, stellt für die Luftfahrt ein immenses Sicherheitsrisiko dar. In der beigefügten Grafik sind die Stromlinien zu sehen, die sich bei der Umströmung eines Autos einstellen. Was sofort auffällt: Die Stromlinien haben keine Knicke und sie schneiden sich nicht. Beides ist aus physikalischer Sicht auch nicht möglich. Es gilt aber auch: Die dargestellten Stromlinien bilden sich nur bei einer ganz bestimmten Einstellung des Windkanals aus. Würde man in unserem Beispiel die Strömungsgeschwindigkeit erhöhen oder das Fahrzeug im Windkanal drehen – würde man also die Rahmenbedingungen ändern – so ergäben sich andere Stromlinien.

Im Gegensatz dazu beschreibt eine Trajektorie die tatsächliche Bahn eines Teilchens in einer Flüssigkeit oder einem Gas, wobei auch veränderliche äußere Bedingungen (z.B. der Strömungsrichtung und -stärke) in die Betrachtung einbezogen werden. Ferner kann hierbei auch – falls bedeutsam – die Masse des Teilchens einen Einfluss ausüben.

Damit präsentieren sich Trajektorien deutlich unruhiger als Stromlinien – zuweilen nehmen sie sogar bizarre Formen an. Im größeren Bildteil der beigefügten Grafik sind die 1-wöchigen Rückwärtstrajektorien der Stationen Bremen und Görlitz abgebildet (Zielzeitpunkt: Fr., 30.4.2021, 00 UTC). Die Bremer Trajektorie zeigt am vergangenen Freitag über dem Nordmeer zuerst eine Verlagerung der Teilchen nach Osten. Diese haben dann aber den Rückweg nach Westen angetreten, um anschließend nach Süden abzubiegen und über Skandinavien hinweg nach Polen zu „wandern“. Über Zentralpolen folgte dann in der Nacht zum letzten Mittwoch der nächste „Rückzieher“. Statt weiter nach Süden ging es zurück zur Ostsee und über Südschweden und Dänemark nach Bremen. Ähnlich „launisch“ präsentiert sich die „Reisegruppe“ mit Ziel Görlitz. Von Schottland erst zum Bodensee, dann nach Westfrankreich, dort eine kleine Schleife gedreht und ab nach Görlitz.

Zwei Anmerkungen erscheinen noch notwendig. Zum einen sind hier nur die Trajektorien der Luftpakete angegeben, die in den beiden Städten in einer Höhe von etwa 500 Meter ankommen. In anderen Höhenstufen können die Trajektorien durchaus (gänzlich) andere Muster annehmen. Zum anderen sind die vermeintlichen Schnittpunkte der Trajektorien (bei der Bremen-Trajektorie über dem Nordmeer und über Südschweden, bei der Görlitz-Trajektorie über der Westpfalz und Frankreich) bei genauer Betrachtung keine Schnittstellen. Warum? Weil die Luftpakete die „Kreuzungspunkte“ jeweils in verschiedenen Höhen überquert haben. Das heißt aber nicht, dass sich Trajektorien bei passenden Randbedingungen nicht tatsächlich schneiden können.

Dipl.-Met. Martin Jonas

Deutscher Wetterdienst Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach, den 30.04.2021

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