(Sub-)Tropisches Ungemach am Schwarzen Meer

Das Wetter im Umfeld des östlichen Schwarzen Meeres gestaltet sich schon seit einigen Tagen unbeständig. Immer wieder entwickeln sich Schauer und Gewitter mit örtlich heftigem Starkregen. Das ist während des Sommerhalbjahres allerdings noch nichts, was einen aus den Latschen haut. Immerhin befinden wir uns dort auch abseits des an der unmittelbaren Küste herrschenden Seeklimas in einem humiden (feuchten) Kontinentalklima, das prinzipiell ganzjährig Niederschläge zulässt. Doch in den kommenden Tagen zeichnet sich eine Entwicklung ab, die dann doch eher Seltenheitswert hat: ein tropen-ähnlicher Sturm.

Verantwortlich für die rege Schauertätigkeit zeichnet sich ein Höhentief, das sich von der „Westwindautobahn“ der mittleren Breiten löste, über dem Schwarzen Meer nun sich selbst überlassen ist und dort folglich ziemlich „unmotiviert“ seine Kreise zieht. Da sich mit dem Höhentief Kaltluft über das sehr warme Meereswasser bzw. die vom Meereswasser stark erwärmte Luft schob, stellte sich ein ausgeprägter vertikaler Temperaturgradient ein. Diese rasche Temperaturabnahme mit der Höhe ermöglichte vertikale Umwälzungen in Form von Schauern und Gewittern.

Durch die andauernde Gewittertätigkeit unter dem sich kaum verlagernden Höhentief wird die Luft nun immer feuchter, zum einen. Zum anderen wird in den Gewittersystemen Luft vom Boden in die Höhe und dort aus dem Areal nach außen weg befördert, sodass der Luftdruck über der Meeresoberfläche sinkt. Da zudem mit einer Abnahme der Windscherung zu rechnen ist (kaum Änderung von Windgeschwindigkeit und -richtung mit der Höhe), können sich die Schauer und Gewitter unbehelligt – ohne dass sie durch starke Höhenwinde zerrissen oder verschleppt werden – um das entstehende Tief herum anordnen und es nochmals deutlich verstärken. Die immer schneller um den eher wolkenarmen Tiefkern rotierende „Gewitterspirale“ würde damit nicht nur optisch einem tropischen Wirbelsturm ähneln. Auch thermodynamisch hätte das System mit seinem warmen Kern bei gleichzeitiger Abwesenheit von Warm- und Kaltfronten frappierende Ähnlichkeit mit einem tropischen Sturm. Der einzig stichhaltige Unterschied wäre die Korrespondenz mit einem (kalten) Höhentief und die abweichende Entwicklung aus einem außertropischen System heraus.

In der Fachliteratur werden solche Systeme auf vielfältige Art und Weise beschrieben. Gängig sind die Bezeichnungen „tropen-ähnlicher Sturm“ (von „tropical-like cyclone“, engl.) und „Subtropensturm“, auch „Medicanes“ im Mittelmeer werden dieser Klasse von meteorologischen Phänomenen zugeordnet. Über dem Schwarzen Meer werden tropen-ähnliche Stürme eher selten beobachtet. Dem European Severe Storms Laboratory (ESSL) zufolge traten zwischen 1982 und 2006 lediglich zwei Tropenstürme oder tropen-ähnliche Stürme auf, also im Schnitt nur etwa alle 10 Jahre. Ein tropen-ähnlicher Sturm in Hurrikanstärke (mit Orkanböen) wurde noch nicht dokumentiert.

Ob der sich nun anbahnende Sturm Hurrikanstärke erreicht, ist völlig unklar und nach aktuellem Stand auch eher unwahrscheinlich. Durch das extrem warme Wasser des Schwarzen Meeres (mit verbreitet 26-28 Grad 2 bis 4 Grad wärmer als im vieljährigen Mittel) steht dem Sturm zumindest aber ungewöhnlich viel Energie zur Verfügung. So oder so besteht rund um das östliche Schwarze Meer und das Asowsche Meer (Küstenregionen in Südrussland, Südukraine und Georgien, später auch in der Nordtürkei) bis zum kommenden Wochenende und darüber hinweg hohe Starkregen- und Sturmgefahr. Im allerschlimmsten Fall sind örtlich mehrere Hundert Liter Regen pro Quadratmeter mit Überschwemmungen und Erdrutschen sowie Orkanböen und Sturmfluten zu befürchten. Mit Blick auf die aktuellen Modellergebnisse für die Niederschlagssumme scheint insbesondere ein Korridor zwischen den Städten Kertsch/Krim, Krasnodar und Rostow (Russland) im Fokus zu stehen.

Dipl.-Met. Adrian Leyser

Deutscher Wetterdienst Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach, den 12.08.2021

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