Mythos Kaventsmann (Teil 1)
Kaventsmänner oder Monsterwellen wurden lange als Seemannsgarn abgetan. Als Mythos von verwirrten Seemännern ähnlich wie Meerjungfrauen oder Riesenkraken. Dabei wurden aufgrund des optischen Eindrucks bereits drei verschiedene Typen von Monsterwellen bestimmt: Die „Drei Schwestern“ (mehrere große Wellen die direkt aufeinander folgen), die durch eine Schaumkrone geprägte „Weiße Wand“ und der Kaventsmann.
Als Kaventsmann wird eine einzelne gigantische Welle bezeichnet, die mindestens doppelt so hoch ist wie seine umgebenden Wellen und auch in ihrer Bewegungsrichtung vom vorherrschenden Seegang abweichen kann. Zahlreiche Schiffunglücke sind vermutlich auf Kaventsmänner zurückzuführen. So zum Beispiel der Untergang des Frachtschiffs „München“ im Dezember 1978 auf dem Weg von Bremerhaven in die USA. Nördlich der Azoren entwickelte sich ein heftiger Sturm, der das Meer aufwühlte. Es herrschte Windstärke 11 im Mittel, die Wellen wogten rund 15 Meter hoch. Das ist die Wellenhöhe, die lange Zeit als maximal möglicher signifikanter Seegang galt. Doch eine Welle ragte vermutlich noch deutlich darüber hinaus und schlug die Fenster der Schiffsbrücke ein. Der Frachter war über mehrere Stunden manövrierunfähig und sank schließlich etwa 30 Stunden später in die Tiefen des Meeres ab.
Auch die Zunahme des Schiffsverkehrs führte dazu, dass immer häufiger Monsterwellen beobachtet wurden. Eine der vermutlich größten aufgezeichneten Wellen wurde dem Kreuzfahrtschiff MS „Bremen“ zum Verhängnis. Das Schiff der Hapag-Lloyd geriet 2001 auf dem Weg von Südgeorgien (Antarktis) nach Brasilien in einen heftigen Sturm. Über dem Südatlantik baute sich eine extrem hohe Welle auf und schlug dort ebenfalls die Brückenfenster ein. Aus dem Logbuch geht hervor: 22. Februar 2001: „Unsere harmonische Seereise wird heute jäh unterbrochen. Um ca. 6.20 Uhr erlitten wir bei sehr schwerer See einen Seeschaden. Ein großer Brecher (Seeschlag) von ca. 35 m Höhe zerstörte das Brückenfenster, wodurch viel Wasser in den Brückenraum eindrang. Ca. 35 Min. ist das Schiff manövrierunfähig, dann konnte die Situation glücklicherweise wieder unter Kontrolle gebracht werden; Verletzte gab es nicht …“ Das Schiff konnte sich sicher in den nächsten Hafen retten. Der Logbucheintrag führt einem jedoch die Gewalt des Meeres vor Augen und lässt einen über die Geschichten alter Seemänner nochmals nachdenken.
Trotz vieler Schiffsunglücke und Berichten von Überlebenden fehlten lange Zeit die Beweise für die Existenz solcher Giganten der Ozeane. 1995 war es dann aber soweit. Am Neujahrstag befand sich ein Zentraltief mit Zentrum über Südschweden. An dessen Westflanke peitschte ein Randtief über die nördliche Nordsee. Dieses verlagerte sich weiter südwärts und entwickelte sich dabei zum Orkan. Der Orkan blies kalte Luft polaren Ursprungs entlang der Westküste Norwegens nach Süden. Bei einem signifikanten Seegang von 11 bis 12 Metern verzeichnete die Draupner-Bohrinsel vor der Westküste Norwegens mit Hilfe eines Lasers eine Monsterwelle von 25,6 Metern Höhe. Dabei breitete sich die Dünung im 80° Winkel zur Windsee aus (siehe Link zum DWD-Wetterlexikon). Mit etwa 100 km/h verlagerte sich die Welle südwärts und erreichte etwa sieben Stunden später den Seenotkreuzer „Alfried Krupp“ der sich westlich von Borkum befand. Das Boot geriet selbst in Seenot. Zwei Besatzungsmitglieder kamen dabei ums Leben.
Die Draupner-Welle ist der erste tatsächlich objektiv gemessene Kaventsmann und brachte somit eine Wende in die Erforschung von Monsterwellen. Der Mythos ist kein Mythos mehr, sondern eine faszinierende, zerstörerische und messbare Erscheinung. Ob man vielleicht irgendwann mal noch Meerjungfrauen sichtet?
Mehr zum Thema Monsterwellen im morgigen Thema des Tages.
MSc Met. Sonja Stöckle
Deutscher Wetterdienst Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach, den 08.03.2022
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