Tiefblau, smaragdgrün, milchig weiß: Warum klares Wasser so bunt sein kann
Es scheint, als hätte jemand tausende Farbeimer in den See gekippt, so fast schon unnatürlich schön wirkt der türkis-smaragdgrüne See Gjende in Norwegen. Doch woher hat dieser See seine Farbe?
18 km lang aber nur 1,5 km breit und umgeben von steilen Berghängen: Der Gjende-See liegt im Nationalpark „Jotuntheimen“ (was übersetzt „Heim der Riesen“ bedeutet) – ein imposantes Berggebiet in Ostnorwegen voller Wasserfälle, Flüsse, Seen, den höchsten Bergen Norwegens und einigen Gletschern. Einer dieser Gletscher ist der „Austre Memurubrean“, von dem der Fluss „Muru“ zunächst durchs Memurudalen-Tal fließt und nach etwa 10 km im besagten See Gjende mündet. Muru befördert nicht nur sportliche Kajakfahrer talabwärts (die wirklich sportlich sein müssen, weil sie ihre Kajaks aufgrund fehlender Straßen den Fluss hoch tragen müssen…), sondern auch das Schmelzwasser des Gletschers. Dieses führt „Gesteinsmehl“ mit sich, das durch die Gletschererosion entsteht: Bewegt sich der Gletscher, werden die Mineralien auf dem Gestein, über das der Gletscher fließt, pulverisiert. Das feinkörnige Gestein führt zunächst zu einer grau- bis weißlichen Trübung des Abflusswassers, weshalb man auch von „Gletschermilch“ spricht (die übrigens auch als teures Wundermittel gekauft werden kann).
Doch der Gjende-See ist nicht milchig weiß, sondern strahlend türkis. Wie kommt das? Um das zu klären, ist es zunächst wichtig zu verstehen, warum wir überhaupt Farben im Wasser sehen: Die Farbe eines Mediums ist grundsätzlich das Ergebnis der Wechselwirkung auftreffenden Lichts mit den Atomen oder Molekülen des Mediums – in diesem Fall des Wassers. Ohne Licht also keine Farbe. Der Mensch kann Licht mit Wellenlängen zwischen 350 Nanometern (violett) und 750 Nanometern (rot) wahrnehmen. Durch Reflexion, Streuung und Absorption werden dem ungefilterten Sonnenlicht, das wir als weiß wahrnehmen, bestimmte Wellenlängen „entnommen“ und es entstehen Farbeindrücke. Ist der Durchmesser des Teilchens sehr viel kleiner als die Wellenlänge des Lichts, spricht man von der sogenannten „Rayleigh-Streuung“. Blaues Licht mit kurzer Wellenlänge wird dabei etwa fünfmal stärker gestreut als rotes, das von den Wassermolekülen „verschluckt“ (absorbiert) wird. Die Wechselwirkung von Wassermolekülen mit Lichtstrahlen ist allerdings nur sehr schwach, weswegen geringe Wassermengen wie Tropfen oder Pfützen farblos erscheinen. Mit zunehmender Strecke, die ein Lichtstrahl durch Wasser zurücklegt, werden jedoch immer mehr rote Lichtanteile absorbiert und blaue gestreut. Ein Taucher sieht deshalb mit zunehmender Tauchtiefe zuerst die roten, die grünen und schließlich die blauen Farben verschwinden. Je tiefer ein See, desto tiefblauer erscheint er also. Ein Beispiel ist z.B. der See „Bessvatnet“, im Bild rechts zu sehen. Je mehr gestreutes Licht die Wasseroberfläche verlässt, desto intensiver ist der Farbeindruck. Ein reflektierender Untergrund – heller Sand beispielsweise – kann den Farbeindruck noch verstärken. Eindrucksvoll wird das beispielsweise an flachen Mittelmeerstränden sichtbar.
Häufig wird die Farbe eines Wasserkörpers jedoch durch alle möglichen Schwebstoffe bestimmt und damit kommen wir nun endlich wieder auf den Gjende-See zurück: Denn sobald das Schmelzwasser des Gletschers mit dem Gesteinsmehl aus dem Fluss in den Gjende-See fließt, sinken die pulverisierten Mineralien in dem stehenden Gewässer teilweise ab.
Trifft nun Sonnenlicht auf diese Suspension, werden von dem Gesteinsmehl auch etwas größere Wellenlängen gestreut, also der grünliche Anteil des Lichts – wodurch uns der See in einer beeindruckenden blau-grünen / smaragdfarbenen Mischung erscheint (siehe linker See im beigefügten Foto).
Wie intensiv ein solcher Gletschersee leuchtet, hängt dabei sowohl von seiner Tiefe, als auch von der Größe der Gesteinsmehlpartikel und den Bewölkungsverhältnissen ab.
Wer mit der Schönheit der funkelnden Gletscherseen ein „Happy End“ dieses Tagesthemas erwünscht, sollte nun nicht weiterlesen. Denn durch das Abschmelzen der Gletscher werden die bestehenden Gletscherseen nicht nur größer, sondern es entstehen auch immer wieder neue. Eine kürzlich im Journal „Nature“ veröffentlichte Studie zeigte, dass die Wassermenge in Gletscherseen seit 1990 um etwa 50 Prozent gestiegen ist. Mit diesem Wissen kann die Freude an den atemberaubend schönen Seen durchaus etwas getrübt sein.
Dipl.-Met. Magdalena Bertelmann
Deutscher Wetterdienst Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach, den 24.09.2020