Auf den Schultern von Giganten
In mehreren Episoden soll kurz das Leben und Werk berühmter Mathematiker und Physiker beleuchtet werden, immer auch mit einem Link zur Meteorologie. Im heutigen Beitrag beginnen wir mit Ludwig Boltzmann.
Frei nach dem Motto des Bestsellers von Stephen Hawking: ‘Giganten des Wissens’ soll jeweils ein kurzer Abriss über die Biografie und Lebensleistung von Naturwissenschaftlern erfolgen, die unser Weltbild geprägt und zuweilen neu definiert haben. Natürlich wird hierbei hauptsächlich der Blick auf Mathematiker und Physiker gerichtet, die auch einen erheblichen Beitrag zur Entwicklung der Meteorologie als eigenständige Wissenschaft innerhalb der Physik geleistet haben.
Das Lebenswerk Ludwig Boltzmanns war die teilweise Neuformulierung und Weiterentwicklung der Thermodynamik, ein wesentlicher Bestandteil der Meteorologie (oder auch Physik der Atmosphäre genannt). Dabei begründete er zusammen mit James Clerk Maxwell die Statistische Mechanik (Boltzmann-Statistik) und deutete die Entropie sowohl als mikroskopische Größe als auch als Zustand der Unordnung eines thermodynamischen Systems. Die Entropie ist damit entscheidend für die Richtung des Ablaufs von physikalischen Prozessen. Hier drängt sich der 2. Hauptsatz der Thermodynamik auf, der u.a. besagt, dass die Entropie in einem abgeschlossenen adiabaten System (also ohne äußere Wärmezufuhr) nicht abnehmen kann, sondern in der Regel eher zunimmt. Nur bei reversiblen (umkehrbaren) Prozessen bleibt sie konstant.
Auf dem Grabstein von Ludwig Boltzmann auf dem Wiener Zentralfriedhof ist die von ihm gefundene, fundamentale Beziehung eingraviert:
S = k*log(W)
In anderer Schreibweise:
S = kB*ln(Omega)
Die Entropie S eines Makrozustandes ist proportional dem natürlichen Logarithmus der Zahl Omega der entsprechend möglichen Mikrozustände. Anders ausgedrückt ist die Entropie eines Makrozustandes proportional dem Maß seiner Unordnung. Die Proportionalitätskonstante ist Boltzmann zu Ehren Boltzmann-Konstante kB genannt worden. Sie ist universal gültig und beschreibt das Verhältnis von Energie- bzw. Wärmeumsatz zu Temperatur.
Das bedeutet z.B. für die Prozesse in der Atmosphäre, wo generell viel Wärme umgesetzt wird, dass der Entropie eine wesentliche Rolle zukommt. Nimmt Letztere doch bei der äußeren Zufuhr von fühlbarer Wärme sowie latenter Wärme (Wärmemenge, die frei wird z.B. bei der Kondensation von Wasserdampf) aufgrund dann nicht mehr reversibler (also irreversibler) Prozesse stetig zu. Dieser Umstand trägt dann wiederum immer zu einer gewissen Unsicherheit bei den Wettervorhersagen bei, da ein ungeordnetes oder auch chaotisches System deterministisch zeitlich nicht mehr eindeutig vorhersagbar ist. Auf dem beiliegenden Foto ist recht anschaulich die turbulente oder chaotische Wolkenbewegung nach Kondensation von Wasserdampf zu sehen, die u.a. dem Zuwachs an Entropie geschuldet ist.
Ein anderes Beispiel für einen Entropiezuwachs ist die Vermischung von zwei Flüssigkeiten mit unterschiedlicher Temperatur. Wenn man nämlich kalte Milch in heißen Kaffee gießt, beobachtet man sofortige Verwirbelung innerhalb der Flüssigkeit. Turbulenz bzw. turbulente Vermischung ist in der Natur der effektivste Weg, um lokale Temperaturunterschiede auszugleichen. Und dieser Prozess ist streng irreversibel.
Boltzmann hatte ebenso Einfluss auf die Formulierung des Planck’schen Strahlungsgesetzes. Das Josef Stefan und Ludwig Boltzmann-Gesetz (die ausgestrahlte Leistung ist der 4. Potenz der absoluten Temperatur proportional) ist nämlich strenggenommen ein Sonderfall des Planck’schen Gesetzes (siehe auch Stefan-Boltzmann-Konstante).
Ab 1870 beschäftigte sich Boltzmann auch mit der Luftfahrt; so interessierten ihn u.a. auch die Flugversuche von Otto Lilienthal.
1876 heiratete er Henriette von Aigentler (1854-1938). Sie hatten gemeinsam fünf Kinder, von denen vier zwischen 1878 und 1884 in Graz zur Welt kamen. Die jüngste Tochter wurde 1891 in München geboren. Seine wissenschaftlich fruchtbarste Zeit verbrachte er in Graz und auch seine menschlich glücklichste. Er musizierte, liebte die Musik (spielte Klavier), betrieb Sport und war ein treusorgender Familienvater, der jedoch einen seiner Söhne verlor. Seine letzten Lebensjahre waren durch ein körperliches Leiden geprägt, das er schließlich im September 1906 durch Suizid beendete.
Dr. rer. nat. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach, den 30.07.2020
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