Erst zu Beginn der Woche mit den 12 UTC-Läufen der unterschiedlichen Modelle deutete sich das Sturmtief „POLY“ in den Prognosen an. Am Dienstagmorgen waren dann die Modellunterschiede in Bezug auf Kerndruck, Position des Tiefs und Lage des Wind- bzw. Sturmfeldes nicht mehr allzu groß. Daher wurde im Laufe des Dienstagvormittags eine Vorabinformation ausgegeben und die scharfen Warnungen folgten dann am Dienstagabend nach. Unwetterwarnungen vor Böen zwischen 100 und 130 km/h (Bft 10 bis 12) erstreckten sich vom Emsland bis nach Schleswig-Holstein.
„Poly“ konnte sich am Dienstagnachmittag über dem Ärmelkanal aus einer relativ unscheinbaren Luftdruckkonstellation heraus entwickeln. In Zusammenarbeit mit der Höhenströmung (Stichwort linker Ausgang eines stark geteilten Jetstreams) verstärkte sich diese Störung zu einem veritablen und für Sommer außergewöhnlich heftigen Sturmtief. Es verlagerte sich im Laufe des Mittwochs zunächst unter Intensivierung von der englischen Südostküste in die Provinz Nordholland. Dort wurde an der Wetterstation De Kooy ein Kerndruck von 988 hPa gemessen. Damit fiel der Luftdruck in dieser Gegend innerhalb von nur 12 h um etwa 20 hPa, was die rasante Entwicklung der Sturmtiefs unterstreicht. Die weitere Tiefdruckverlagerung erfolgte bei leicht variierendem Kerndruck über das Ijsselmeer, die ostfriesischen Inseln und die Deutsche Bucht in Richtung Sylt. Am Mittwochabend lag der Kern des Tiefs dann über dem Süden Dänemarks und unter weiterer Abschwächung zog es weiter nach Südschweden.
Die stärksten Böen traten an der Südflanke des Tiefdruckgebietes auf. In den Niederlanden wurde beispielsweise an der Station Ijmuiden zwischen 8 Uhr und 9 Uhr MESZ eine Orkanböe mit einer Windgeschwindigkeit von 148 km/h, Bft 12 gemssen. Auch am Flughafen Schiphol in Amsterdam kam es zu dieser Uhrzeit mit 119 km/h zu einer Orkanböe. Das Windfeld verlagerte sich mit dem Sturmtief weiter nach Osten beziehungsweise später nach Nordosten. In Deutschland wurde im Bereich Ostfriesland gegen Mittag ein erster Höhepunkt erreicht. Dadurch, dass mehrere kleine Bodentröge „POLY“ quasi etwas den Saft abgedreht hatten, und sich das Tief nun komplett „eingedreht“ hatte, wurde das Maximum der Tiefentwicklung überschritten, gefolgt von einer kurzen Windabschwächung im Westen. Am Abend gab es dann rückseitig des Tiefs ein zweites Windmaximum. Dieses verlagerte sich von der Niedersächsischen Küste in Richtung Schleswig-Holsteinische Westküste und die Werte lagen mitunter noch etwas höher als am Mittag und Nachmittag. In der nachfolgenden Tabelle sind einige Höchstwerte aufgelistet.
Ort | Bundesland | Böen in km/h |
---|---|---|
Büsum | Schleswig-Holstein | 108 |
Hallig Hoge | Schleswig-Holstein | 109 |
Spiekeroog | Niedersachsen | 108 |
Elpersbüttel | Schleswig-Holstein | 95 |
Bremervörde | Niedersachsen | 91 |
Emden | Niedersachsen | 87 |
Bremen | Bremen | 81 |
Das Schadensbild, das durch den Sturm verursacht wurde, war teils enorm. Zwar waren die Böen teilweise nicht ganz so stark wie bei einem Wintersturm, allerdings stellten vor allem die dicht belaubten Bäume durch ihre große Angriffsfläche eine immense Gefahr dar. Viele entwurzelte Bäume blockierten dadurch die Straßen- und Schienenwege oder stürzten auf Autos und Häuser. Teilweise musste der Bahnverkehr eingestellt und Parks sowie Grünanlagen gesperrt werden.
Der außergewöhnliche Sturm ist mittlerweile Geschichte und am kommenden Wochenende steht eine neue Hitzewelle an. Doch dazu morgen mehr.
Dipl.-Met. Marcel Schmid
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 06.07.2023
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst