Nächtlicher Low-Level-Jet
Für die nächsten Tage steht in Deutschland eine deutliche Wetterberuhigung an. Hoch BIE, welches aktuell auf dem Weg von der Nordsee zum Baltikum ist, bringt uns ein Wetter, das der Jahreszeit alle Ehre macht. Das wird viele freuen, die von den häufigen Schauern und Gewittern der letzten Wochen allmählich die Nase voll haben. Denn auch gestern ging es gebietsweise wieder turbulent zu. Am Vormittag regnete es im Osten Deutschlands, in einem breiten Streifen vom Südharz bzw. dem Raum Halle/Leipzig bis an den Oberbruch nochmal kräftig. Und am Nachmittag, Abend und in der Nacht zum heutigen Sonntag traf es dann erst den Südwesten und später den Süden mit Schwerpunkt Alpenrand und Alpenvorland. Während sich die Regenfälle im Osten gebietsweise auf 20 bis 25 mm (Liter pro Quadratmeter) summierten, waren es im Süden durchaus 25 bis 35 mm, lokal sogar bis knapp an die 50 mm. Spitzenreiter diesbezüglich war die Station Bernbeuren in Bayern mit 48 mm.
Da sich jetzt aber in Deutschland Hoch BIE sehr deutlich bemerkbar macht und bis zur Wochenmitte für ruhiges und sonniges, also so richtig sommerliches Wetter sorgt, kann man den Blick mal wieder über den Tellerrand schweifen lassen – zum Beispiel nach Schottland, sozusagen auf die „andere Seite“ von Hoch BIE.
Dort konnte man in der vergangenen Nacht eine recht hübsche Windentwicklung beobachten. Ausgangspunkt war der Frontenzug eines kräftigen Tiefs bei Island, welcher in der ersten Nachthälfte über die Region hinweg zog. Die mit der Front verbundene kräftige Durchmischung „verfrachtete“ hohe Windgeschwindigkeiten aus großen Höhen in die untere Troposphäre. Entsprechend wurden beachtliche Windgeschwindigkeiten gemessen. Zwischen 23 Uhr und 00 Uhr MESZ registrierte die Messstation auf dem Cairngorm-Gipfel zwischen Inverness und Aberdeen immerhin 128 km/h – und damit volle Orkanstärke.
Unmittelbar nach der Frontpassage setzte kräftiger Druckanstieg und Absinken ein, beides war letztendlich einem „Ableger“ von Hoch BIE geschuldet. Somit bildete sich recht rasch eine Inversion aus, also eine Temperaturschichtung, bei der eine warme über einer kalten Luftschicht liegt. Die Abbildung 1 zeigt die Modellsimulation der vertikalen Struktur von Temperatur (durchgezogene Linie) und Feuchte (gestrichelte Linie, Modell ICON–EU) in der Nähe von Inverness in der Nacht (nach Frontpassage). An dieser Stelle ist von den beiden Kurven vor allem die Temperatur interessant. Da ab einer Höhe von ca. 1,5 km die Temperatur mit zunehmender Höhe wieder ansteigt, bildet sich eine Sperrschicht aus, so dass die unterhalb der Sperrschicht liegende Luft am Aufsteigen gehindert wird. Das Absinken erkennt man übrigens auch daran, dass die Luft austrocknet und in der Folge zwischen etwa 1,5 km und etwa 4 km Höhe die Temperatur- und die Taupunktkurve einen großen Abstand aufweisen.
Für den Wind, der über die schottischen Highlands streift, stellt die Sperrschicht ein Problem dar. Denn einerseits muss er über die Berge hinweg, andererseits hat er zwischen den Bergen und der Sperrschicht nur wenig Platz (Abbildung 2).
Der Wind zwängt sich also durch eine Engstelle, die sich auf der Unterseite orografisch, auf der Oberseite dagegen thermisch manifestiert. Ein solcher Düseneffekt führt zu einer teils deutlichen Zunahme der Windgeschwindigkeit. Das sieht man auch beim Blick auf die Abbildung 3. Dort sind die 3-stündigen maximalen Windgeschwindigkeiten in Schottland von 00 UTC bis 03 UTC (02 MESZ bis 05 MESZ) dargestellt. Die höchsten Windgeschwindigkeiten wurden in diesem Zeitraum wiederum auf dem Cairngorm-Gipfel mit 79 km/h (Bft 9, also volle Sturmstärke) registriert (Abbildung 3). Die Höhe des Gipfels entspricht etwa der Höhe der Bergskizze in Abbildung 2. Insofern lassen sich die hohen Windgeschwindigkeiten recht plausibel als Low-Level-Jet erklären.
Wer jetzt Interesse an der ganzen Windgeschichte der Nacht hat, der muss noch in die Frühstunden schauen. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte es Hoch BIE geschafft, die Inversion bzw. die Sperrschicht durch weiteres Absinken so weit nach unten zu drücken, dass diese unterhalb der Gipfelhöhe lag. Entsprechend brach daraufhin der Düseneffekt zusammen und die Windgeschwindigkeit sank deutlich.
Dipl.-Met. Martin Jonas
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 23.06.2024
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