Ein Rückblick auf die nordatlantische Hurrikansaison 2023
Erneut schließt sich ein weiteres Kapitel der alljährlich anfallenden Hurrikansaison und wir wagen einen kleinen Rückblick. Haben Sie etwas von dieser Saison medial mitbekommen? Wohl eher nicht, denn bezüglich medienträchtiger Landgänge war es in der Tat eine sehr zurückhaltende Saison.
Doch beginnen wir der Reihe nach. Was wurde vorhergesagt und was trat ein? Nehmen wir dazu die im August zuletzt aktualisierte Vorhersage der “National Oceanic and Atmospheric Administration, NOAA” und stellen sie den real aufgetretenen Werten gegenüber:
NOAA (Vorhersage vom August) | 1.6. bis 30.11. 2023 | |
Akkumulierte Energie der Zyklone (ACE, Median) | 105 – 200 % | 145 – 148 % (berechnungsabhängig) |
Benannte Systeme | 14 – 21 | 20 |
Hurrikane | 6 – 11 | 7 |
Major Hurrikane | 2 – 5 | 3 |
Tabelle: Gegenüberstellung der Vorhersage durch die NOAA vom August 2023 mit den vorläufigen Daten dieser Hurrikansaison. Nähere Informationen zum ACE sind als Link zum Thema des Tages vom 23.09.2022 hinterlegt . Die tropischen Systeme werden benannt, sobald der Sturm Windgeschwindigkeiten von entweder mehr als 62 km/h (Tropensturm) oder 119 km/h (Hurrikan) erreicht. Ein “major” Hurrikan wird ausgerufen, sobald der Wirbelsturm Windgeschwindigkeiten von mehr als 179 km/h im 1-minütigen Mittel aufweist.
Dem regelmäßigen Leser der Themen des Tages fällt nun vielleicht auf, dass diese Zahlen denen vom letzten Jahr sehr ähnlich sind, was zwar so auch sehr gut vorhergesagt wurde, jedoch auf jeden Fall hervorgehoben werden sollte. Der Grund dieser Betonung liegt in der zügigen Entwicklung einer positiven El Nino-Southern Oszillation, ENSO, was weitläufig auch unter dem Namen “El Nino” bekannt ist. Solch eine Entwicklung sorgt grob zusammengefasst für mehr tropische Stürme im Ostpazifik dank wärmeren Wassers und geringer Windscherung sowie einer geringeren Anzahl im tropischen Nordatlantik durch stärkere Windscherung bzw. Passatwindphasen und einer allgemein höheren Stabilität der Troposphäre. Diese Beschreibung kann regional je nach Art des El Nino Ereignisses auch leicht abweichen. Anders ausgedrückt sorgt die Entwicklung eines El Nino stark vereinfacht gesagt für einen verstärkten subtropischen Rücken über dem Ostpazifik und einen Trog über dem Nordatlantik. Der Trog erhöht neben weiteren Faktoren dort dann auch die Windscherung, also die Änderung der Windgeschwindigkeit mit der Höhe. Dies wird im folgenden Bild der Geopotenzialabweichung in 200 hPa zwischen Juni und Dezember deutlich, die trotz der zeitlich sehr großen Zeitspanne/Glättung eine entsprechende Signatur aufwies.
Doch wieso gingen die Vorhersager schon damals so aggressiv an die saisonale Vorhersage heran? Die große Unbekannte war die fast im gesamten tropischen Nordatlantik weiträumig und deutlich zu hohe Meeresoberflächentemperatur, die neben der weiterhin positiven “Atlantic Multi-Decadal Oscillation, (AMO)” und dem raschen Wechsel nach 3 La Nina Jahren zu einem sich zügig aufbauenden El Nino sicherlich auch einen anthropogenen Abdruck enthielt. Das Resultat ist im folgenden Bild zu erkennen:
Der gesamte Bereich für eine potenzielle Entwicklung tropischer Stürme war überdurchschnittlich, teils auch signifikant zu warm. Die Schwierigkeit bei der Erstellung der saisonalen Prognose bestand darin, abzuschätzen, welcher Parameter letztendlich die Oberhand behalten würde: der eher hemmende El Nino oder diese beachtliche positive Abweichung der Meeresoberflächentemperatur?
Das Resultat ist mittlerweile bekannt: eine über dem Durchschnitt liegende Saison, die bisher auf dem 4. Platz landet für die am meisten benannten Stürme während einer Saison. Für ein El Nino Ereignis wirklich beeindruckend und laut des NOAA Climate Prediction Centers das namenstechnisch aktivste El Nino Jahr seit Beginn der Beobachtungen.
Förderlich war sicherlich auch eine Verringerung der Windscherung in weiten Bereichen des Nordatlantiks.
Vergleicht man hier die Minima der Windscherung mit der vorläufigen Kartendarstellung der Zugbahnen, erkennt man schön eine Häufung der Zugbahnen im Bereich zwischen 70 und 40 Grad West sowie 15 bis 35 Grad Nord, was sehr gut mit der scherungsarmen Zone überlappt (siehe schwarzer Kasten). Umso beachtlicher die fehlende Aktivität bzw. Intensität der Stürme in der Karibik und die überschaubaren Systeme im Golf von Mexiko – wiederum ein Abdruck des El Nino.
Von daher ist es nicht verwunderlich, dass diese Saison medial kaum Aufmerksamkeit erhielt, da sich ein Großteil der Aktivität fernab der Landmassen und Inseln über dem offenen Nordatlantik austobte. Mit dem Hurrikan IDALIA wurde in der Saison 2023 nur ein Landgang eines Hurrikan festgestellt (Kat. 3), während zwei weitere Systeme nur in abgeschwächter Form an Land gingen.
Was war sonst noch erwähnenswert an dieser Saison?
Sie begann sehr früh mit einem subtropischen System (also einem, das sowohl tropische als auch außertropische Eigenschaften aufwies). Dieses System war vom 16. zum 17. Januar vor der Nordostküste der USA aktiv und bahnte sich in der Folge seinen Weg nach Osten und später nach Norden.
Es wird auch eine Saison sein, wo die statistische Vorhersagegüte der Zugbahnvorhersage wenigstens bei einigen Systemen deutlich schlechter ausfiel als sonst.
Mit ein Grund dafür waren teils sehr komplexe Zugbahnen, wie ein Looping bei Hurrikan MARGOT, abrupte Richtungsänderungen bei Hurrikan FRANKLIN oder ein Tropensturm PHILIPPE, der entgegen der Vorhersagen statt nach Norden immer weiter nach Westen wanderte und letztendlich den Kleinen Antillen heftige Niederschläge brachte.
Wenn schon der eigentlich gehemmte Nordatlantik so aktiv war, wie sah es da im östlichen Pazifik aus, der während eines El Nino ja zusätzlich begünstigt wird? Um diese Übersicht nicht zu überfrachten soll an dieser Stelle nur darauf hingewiesen werden, dass auch hier eine überdurchschnittliche Saison beobachtet wurde. Erwartungsgemäß fielen hier die Stürme jedoch deutlich intensiver / explosiver aus mit 10 Hurrikane, wobei 8 davon den Status eines “major” Hurrikan erhielten. Der Hurrikan OTIS intensivierte sich direkt vor Landgang nahe der Metropole Acapulco, Mexiko um unglaubliche 175 km/h binnen 24h zu einem Kategorie 5 Sturm (die zweithöchste, jemals beobachtete Intensivierungsrate in dieser Region) und wurde vorläufig zum Rekordhalter eines Landgangs mit den höchsten Windgeschwindigkeiten an der Ostpazifikküste. Zudem gab es eine noch inoffizielle Böenmessung von 330 km/h bei Acapulco, die unter die top 10 Böen weltweit fallen würde und das nur wenige Wochen nach einer 342 km/h Böenmessung bei der Passage des Taifuns KOINU vor Taiwan. Tropensturm HILARY brachte dem Süden Kaliforniens eine Niederschlagsabweichung im August von teils mehr als 600% und so könnte man die Liste noch lange fortführen.
Erwähnenswert ist noch zum Schluss die Bilanz der Hurrikanjäger, die auch in diesem Jahr im Ostpazifik und Nordatlantik unterwegs waren: 93 Flüge, 990.5 Flugstunden und 928 Dropsonden (Sonden, die nach unten fallen und dabei wertvolle Wetterdaten übermitteln). Die hier genannten Daten entstammen einem Statement der 403rd Wing’s 53rd Weather Reconnaissance Squadron.
Welches Fazit kann man nun aber aus dieser Saison im Nordatlantik ziehen? Trotz eines sich aufbauenden El Ninos war die Saison äußerst aktiv, die Hauptaktivität spielte sich jedoch zumeist über dem offenen Nordatlantik ab und sorgte somit insgesamt für eine überschaubare Schadensbilanz.
Was sind die ersten Prognosen für die kommende Saison 2024? Sollten die aktuellen Abschätzungen der El Nino Abschwächung zum kommenden Sommer zutreffen, dann könnte neben weiteren günstigen Parametern eine äußerst aktive Saison 2024 bevorstehen.
Dipl. Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 25.12.2023
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