Hochsaison des Vogelzuges
Blickt man aktuell in den Himmel – praktisch tätige Meteorologinnen und Meteorologen tun dies ja bekanntlich hin und wieder – kann man mit etwas Geduld das alljährliche Schauspiel des Vogelzuges beobachten. Besonders gut zu erkennen sind dabei jene Vogelschwärme, die im sogenannten V-Flug die Distanzen zwischen ihrer Sommerresidenz und dem Winterquartier überbrücken. Klassische Vertreter solcher Arten sind beispielsweise die Graugans oder der Kranich, die am Himmel das sehr gut erkenntliche V-Muster bilden. Doch auch viele andere Vogelarten machen sich zurzeit – mehr oder weniger gut sichtbar – auf ihren Weg in den Süden oder sind dort schon angekommen. Rund 250 Vogelarten brüten in unseren heimischen Gefilden und man schätzt, dass etwa die Hälfte davon Zugvögel sind – im Gegensatz zu den Standvögeln, die die Überwinterung weitgehend im Brutgebiet absolvieren und “Teilziehern”, die die jeweiligen örtlichen Populationen im Winterhalbjahr ersetzen (beispielsweise Kohl- und Blaumeisen). Bei den Zugvögeln wird zudem zwischen den Lang- und Kurzstreckenziehern unterschieden. Während Kurzstreckenzieher (z.B. Kranich, Kiebitz, Feldlerche und Star) “nur” die Distanz nach West- und Südeuropa zu überbrücken haben, müssen Weißstorch, Kuckuck, Rauchschwalbe und weitere 80 Arten in die Gebiete südlich der Sahara gelangen.
Langstreckenzieher folgen dabei einem sehr genauen Plan und verlassen die heimischen Gefilde jedes Jahr zu sehr ähnlichen Terminen. Es geht sogar so weit, dass man an vielen Orten die Woche des saisonalen Abfluges detailliert festlegen kann. Man schätzt, dass sich jedes Jahr um die zwei Milliarden Individuen auf ihre lange Reise von Europa nach Afrika machen. Kurzstreckenzieher können dagegen etwas spontaner agieren und richten sich deutlicher nach der herrschenden Witterung. Ein kalter Spätsommer oder Frühherbst können den Vogelzug etwas beschleunigen, ein warmer und sonniger Spätwinter den Aufenthalt der etwa 40 Arten im Winterquartier entsprechend verkürzen. Da Kurzstreckenzieher häufig tagsüber unterwegs sind, lassen sich diese deutlich besser beobachten als beispielsweise Störche, die ihre Distanzen vor allem in der Nacht hinter sich bringen. Je nach speziellem Erfordernis (tierabhängig) wird dabei der Tagesgang der Thermik bzw. die Einstrahlung genutzt oder vermieden.
Sehr ungünstige Wetterbedingungen oder -entwicklungen können aber besonders den Langstreckenziehern erheblichen Schaden zufügen. Diese brechen zwar schon sehr früh im Jahr (August bis Anfang September) auf ihre lange Reise auf, das bewahrt diese aber nicht immer vor erheblichen wetterbedingten Schwierigkeiten. Der Anfang September 2024 stattgefundene Kaltlufteinbruch in Mitteleuropa hat beispielsweise auch dieses Jahr zu einigen gestrandeten Schwalben geführt, die die Alpen bei einer tiefen Schneefallgrenze und Dauerregen/-schneefall nicht mehr überwinden konnten. Außerdem war bei Regen und Kälte auch das Nahrungsangebot (Insekten) gering. Den Vögeln bliebt daher nur Warten übrig und den Energieverbrauch entsprechend zu senken.
Im Jahre 1974 griffen sogar Vogelschützer ein und brachten bei Kälte gestrandete Schwalbe per Auto, Zug oder Flugzeug über die Alpen nach Süden. Vor genau 50 Jahren gab es nämlich einen massiven und lange anhaltenden mitteleuropäischen Kaltlufteinbruch, der zahlreiche Mehl- und Rauschschwalben das Leben erschwerte bzw. auch kostete. Tier- und Vogelschutzorganisationen (besonders der damalige Deutsche Bund für Vogelschutz, DBV) sowie die lokale Bevölkerung wurden darauf aufmerksam und begannen nachfolgend die entkräfteten Vögel einzusammeln. Man schätzt, dass in Deutschland weit über eine Million Tiere diesen “Taxidienst” in Anspruch nehmen durften, aus den Nachbarländern kamen noch weitere hinzu. Auch die Wetterlage der vergangenen Tage mit Schneefall bis 1500 m herab war nicht gerade günstig – allerdings wird es ab Sonntag wärmer und sonniger. Allerdings kommt an den Alpen vorübergehend Südföhn auf, sodass die Vögel etwas Gegenwind haben könnten.
Doch kommen wir zurück zu den Kurzstreckenziehern: Der augenscheinlichste Vertreter dieser Kategorie ist der Kranich. Dieser bildet mit seinen Artgenossen eine V-Formation im Himmel, wobei dessen Schenkel nicht symmetrisch sein müssen. Es wird schon länger vermutet, dass diese Anordnung der Energieersparnis dienen könnte. Die Vögel nutzen dabei den Aufwind der vor ihnen fliegenden Artgenossen. Ein Forschungsteam der Universität Wien hat diese Annahme nun mit Messungen unterfüttert (siehe Links). Dafür wurden Waldrappen mit Sensoren und Aufnahmegeräten ausgestattet und damit der Energieverbrauch aus der dynamischen Körperbeschleunigung, der Herzfrequenz und der effektiven Flügelschlagfrequenz abgeleitet. Alle drei Parameter waren im “Kielwasser” des Vordervogels verringert. Ganz intuitiv nutzen die Kraniche also die Regeln der Physik zu ihrem Vorteil, ohne diese im Detail studiert zu haben.
Mag.rer.nat. Florian Bilgeri
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 05.10.2024
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