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Kleine Gewitterkunde – Teil 3: Die Superzelle

Gewitter können große Schäden verursachen und für Menschen im Freien sogar lebensgefährlich werden. Extreme Unwetter in Norditalien mit riesigem Hagel zeigten dies erst vor ein paar Tagen sehr eindrucksvoll. Dabei handelte es sich um sogenannte „Superzellen“.

Superzellen sind vielen vor allem aus dem mittleren Westen der USA bekannt. Jährlich reisen hunderte Gewitterjäger (Stormchaser) aus aller Welt in diese Region, um die majestätisch anmutenden Gewitter zu verfolgen und zu fotografieren. Durch die meteorologischen Voraussetzungen und das flache Terrain können sich Superzellen dort ungehindert entwickeln und ihre größte Stärke entfalten. Sie sind durch ihre zerstörerischen Tornados bekannt, die dort jedes Jahr über das Land ziehen und alles, was ihnen in die Quere kommt, dem Erdboden gleich machen.

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Was viele nicht wissen, auch bei uns in Deutschland sind Superzellen gar nicht so selten und kommen jedes Jahr an mehreren Tagen vor. Bisweilen verursachen Superzellen auch bei uns in Deutschland eine Schneise der Verwüstung. Am 10. Juni 2019 beispielsweise entstand im Allgäu eine Superzelle und produzierte auf ihrem Weg nach Nordosten vor allem am Ammersee und im Münchner Norden Hagelbrocken von 4 bis 8 cm Durchmesser . Am 28. Juli 2013 brachte 8 cm großer Hagel einer Superzelle rund um Reutlingen mit 2,8 Mrd. Euro den bisher größten Hagelschaden der Geschichte Deutschlands und mehrere Hundert Menschen wurden verletzt. Nur ein paar Tage später, am 8. August, fand man ebenfalls bei Reutlingen mit 14 cm den größten Hagelbrocken Deutschlands. Auch beim Münchner Hagelunwetter vom 12. Juli 1984 handelte es sich um eine Superzelle. Damals kamen über der Millionenstadt bis zu 9,5 cm große und 300 g schwere Hagelgeschosse vom Himmel! Superzellen können nicht nur Hagel, sondern auch extreme Böen bis in den Orkanbereich erzeugen. Solche holzten an einer Superzelle im südlichen Rhein-Main-Gebiet auf einer etwa 25 km langen und 1 km breiten Schneise große Waldgebiete komplett ab.

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Eine detaillierte Beschreibung der komplexen Luftströmungen in einer Superzelle (Abb. 1) würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen, sodass nur die grundlegenden Merkmale erläutert werden. Die markanteste Eigenschaft der Superzelle ist ihr rotierender Aufwindschlauch (Updraft). Wie bereits im Thema des Tages vom 22. Juli erklärt wurde, entscheidet vor allem die Stärke der vertikalen Windscherung (Zunahme der Windgeschwindigkeit und Änderung der Windrichtung mit der Höhe), welche Gewitterform sich bildet. Superzellen entstehen in einer Region, in der eine hochreichende und starke Windscherung vorherrscht und bodennah Warmluft einfließt. Bei uns in Deutschland sind diese Voraussetzungen beispielsweise an der Vorderseite eines Höhentiefs mit Zentrum über Westeuropa gegeben. Dabei erreicht uns in tieferen Luftschichten feuchte subtropische Warmluft, also eine sehr energiereiche Luftmasse (hohe CAPE), und der Wind erfährt eine deutliche Rechtsdrehung mit der Höhe. Durch die starke Windzunahme in der unteren Atmosphäre beginnt die Luft horizontal zu rotieren. Der Updraft (rote Pfeile, Abb. 1+2) kippt nun den rotierenden Wirbel in die Senkrechte und verstärkt ihn weiter. So entsteht ein rotierender Aufwindschlauch mit einem Durchmesser von zwei bis zehn Kilometern. Diese sogenannte „Mesozyklone“ ist der eigentliche Motor der Superzelle. Durch die aufsteigende Luft erzeugt sie am Boden einen Unterdruck (kleinräumiges Tief), wodurch beständig Warmluft in die Gewitterwolke gesaugt werden und aufsteigen kann. Man erkennt diesen Vorgang oft an der sogenannten „Wallcloud„, einer Absenkung der Wolkenbasis (Abb. 2+4). Die Scherung sorgt zudem dafür, dass die ausfließende Kaltluft des Downdrafts (hellblaue Pfeile, Abb. 1+3) hinter der in die Superzelle aufsteigenden Warmluft bleibt (Böenlinie in Abb. 1). Somit kann die Superzelle kontinuierlich mit der energiereichen Warmluft gefüttert werden. Durch die Langlebigkeit und die massive Power des rotierenden Updrafts können Hagelkörner lange im Aufwindbereich verbleiben und zu immer größeren Brocken heranwachsen, bis sie aufgrund ihrer Schwere schließlich zu Boden fallen. Vor allem an der Böenlinie kann es extreme Fallböen (Downbursts) geben, die Orkanstärke erreichen können. Man erkennt sie an der sogenannten „Shelfcloud“ (Abb. 3+4). Auch durch absinkende Kaltluft aus dem Amboss (dunkelblaue Pfeile, inAbb. 1) kann es am Boden zu Sturmböen kommen.

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Zwar ist eine isolierte Superzelle streng genommen auch eine Einzelzelle, sie ist aber weitaus mächtiger und langlebiger als ihr nicht-rotierendes Pendant. Im unteren Teil hat das Gewitter oft eine Ausdehnung von 20 bis 50 Kilometern, der Cirrusschirm im oberen Bereich der Wolke kann sogar einen Durchmesser von über 100 Kilometern besitzen. Superzellen existieren meist über mehrere Stunden, im Extremfall sogar sechs bis zwölf Stunden. Daher können sie über hunderte von Kilometern ziehen und selbst ohne Tornados eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. Die Rotation der Superzelle erklärt auch die Bildung von Tornados. So majestätisch schön sie für den Beobachter aus der Ferne wirken, so gefährlich und angsteinflößend sind sie also, wenn man von ihnen getroffen wird.

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Dr. rer. nat Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 28.07.2023
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