Klimaerwärmung und die Auswirkungen auf die Vegetation
Die Natur kommt immer früher in Gang
In den vergangenen Jahren kam die Vegetation im Mittel immer früher in Gang. Es gibt zwei Möglichkeiten diese Entwicklung recht eindrücklich zu zeigen. Da wäre zum einen der Blühbeginn der Forsythie, der auch den Start der phänologischen Jahreszeit „Erstfrühling“ markiert.
Im Deutschlandmittel lässt sich ein deutlicher Sprung zwischen den beiden Referenzperioden 1961-1990 und 1991-2020 erkennen. Im Mittel über Deutschland hat sich der Blühbeginn der Forsythie um elf Tage nach vorne verschoben. An Stationen im Westen und Südwesten Deutschlands sind die Veränderungen noch stärker, so beginnt beispielsweise die Blüte der Forsythie in Geisenheim bereits 18 Tage früher (1961-1990: 25.März, 1991-2020: 07.März). Schaut man speziell auf die letzten 10 Jahre (Zeitraum 2011 bis 2020), erkennt man, dass auch dieses neue Referenzmittel bereits verlassen wurde (Mittel 2011-2020: 1.März). In Geisenheim markierte das Jahr 2024 den bisher frühesten Forsythienblühbeginn seit Aufzeichnungsbeginn. Mit dem 19. Februar 2024 war man über einen Monat früher dran, als im Mittel von 1961-1990 (25.März).
Nicht nur die Temperatur hat Einfluss auf den Blühbeginn
Die Forsythie ist nicht die einzige Pflanze, die immer früher startet. Vergleichbare Veränderungen findet man bei einer Vielzahl von Pflanzen, so auch beim Blühbeginn der Süßkirsche oder bei der Blattentfaltung der Stachelbeere. Allerdings lässt sich die Größenordnung der Verfrühung nicht auf alle Pflanzen(arten) übertragen. Neben der Lufttemperatur beeinflussen auch andere meteorologische Faktoren die Pflanzenentwicklung. Dazu gehören neben der Summe der Sonnenscheindauer auch die Bodentemperaturen in unterschiedlichen Tiefen und die nächtlichen Tiefstwerte in Bodennähe. Forsythie und Stachelbeere sind beispielsweise Flachwurzler und reagieren entsprechend früh auf die Erwärmung der oberen Bodenschichten. Bei Birnen und anderen Tiefwurzlern, reicht eine Erwärmung der oberen Bodenschichten alleine nicht aus.
Anstieg der Mitteltemperatur und Wachstumsstart im Grünland
Die früher einsetzende Vegetationsphase im Frühjahr ist eine direkte Folge des Anstiegs der Mitteltemperatur in den ersten Monaten des Jahres. Um den aktuellen Stand der Frühjahrsentwicklung zu beurteilen nutzen Landwirte die sogenannte Grünlandtemperatursumme. Sie gibt einen Hinweis auf den Termin, zu dem das Wachstum im Grünland beginnt – ein Termin, der sozusagen den Startschuss für die landwirtschaftlichen Arbeiten gibt. Für diese Maßzahl werden mit Jahresbeginn fortlaufend die positiven Tagesmitteltemperaturen aufsummiert. Im Januar werden aufgrund des niedrigeren Sonnenstandes die Mitteltemperaturen noch mit 0.5 und im Februar mit 0.75 multipliziert. Ab März zählen die Tagesmittelwerte voll.
Der Schwellenwert, ab dem man von einem nachhaltigen Wachstumsstart des Grünlands spricht ist die Summe von 200 °C. Schaut man sich die Statistik dazu im Stationsmittel von Deutschland an, erkennt man eine deutliche Verfrühung des Erreichens der 200 °C Marke. In diesem Frühjahr 2024 wurde dieser Schwellenwert sehr früh erreicht und die Natur hat sich folglich besonders früh entwickelt, wie man am Beispiel Frankfurt/Main in der Grafik erkennen kann.
Bis spät in den Herbst Wärme – Verlängerung der Vegetationsperiode
Auf der anderen Seite dauern im Jahresverlauf die sommerlich warmen Wetterlagen immer länger an. Das Jahr 2023 war dahingehend ein Extrembeispiel mit einem September, der als vierter Sommermonat in die Geschichte eingegangen ist. An einigen Wetterstationen entlang der Nordseeküste und im höheren Bergland markierte der September 2023 den wärmsten Monat des Jahres, wärmer als Juni, Juli oder August. Auch bei der Anzahl der Sommer- und Hitzetage (Maxima ≥25 Grad bzw. ≥30 Grad), wurden neue Rekordwerte erzielt. Details dazu sind im nachzulesen. Die spätsommerliche Wärme zog sich bis in die erste Oktoberdekade hinein.
Mit dem im Mittel späteren Absinken der Tagesmitteltemperauren unter 5°C, verlängert sich automatisch die Vegetationsperiode. Blickt man auf die phänologische Uhr, ist zu erkennen, dass insbesondere der „Vollherbst“ in der Periode 1991-2020 deutlich länger andauert, als in der Periode 1961-1990. Dass die phänologische Jahreszeit „Vollherbst“ so viel länger geworden ist, liegt an der Kombination aus zwei Faktoren und der Definition des Beginns der Jahreszeit. Der Vollherbst beginnt mit der Fruchtreife der Stieleiche. Durch die wärmeren Temperaturen wird die Fruchtreife beschleunigt und der Vollherbst beginnt, wie alle phänologischen Jahreszeiten davor, früher als nach der alten Referenz. Der Übergang zur phänologischen Jahreszeit „Spätherbst“ erfolgt mit der Blattverfärbung der Stieleiche. Durch die wärmeren Temperaturen setzt diese im Mittel deutlich später ein. In der Konsequenz ist der „Vollherbst“ der große Gewinner des Klimawandels.
In Folge der zuvor erläuterten Veränderungen, hat sich die Jahreszeit Winter in der Pflanzenwelt deutlich verkürzt (um rund 20 Tage zwischen 1961-1990 und 1991-2020).
Verlängerung des Grünlandwachstums und Verkürzung der Vegetationsruhe
Daraus folgt auch, dass das Grünlandwachstum immer länger andauert. Um diesen Parameter zu bestimmen, muss man wissen, dass ab einer bestimmten Temperatur das Wachstum der Pflanzenwelt zum Erliegen kommt. Die meisten Pflanzen stellen bei Temperaturen unterhalb von 7 bis 4 °C das Wachstum ein und wechseln in die Winterruhe. Etwas vereinfacht kann man den Beginn der Winterruhe damit definieren, dass die Tagesmitteltemperatur an fünf aufeinanderfolgenden Tagen unter 5°C liegen soll. Die Dauer des Grünlandwachstum berechnet sich aus der Zeitspanne zwischen dem Erreichen der Grünlandtemperatursumme von 200 °C und dem Beginn der Vegetationsruhe. Im Vergleich der beiden Klimareferenzperioden erkennt man, dass sich der Zeitraum verlängert hat (fast zwei Wochen länger) und gerade im letzten Jahrzehnt nochmal einen Sprung nach oben gemacht hat.
Auswirkungen der Verkürzung der Ruhephasen
Wenn sich also die Vegetationsperiode verlängert, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass die Ruhephasen für die Pflanzenwelt kürzer werden. Es stellt sich also die Frage, welche Konsequenzen dies für die Natur hat. Ganz pauschal lässt sich das nicht beantworten. So gibt es in der Natur und im Garten Pflanzenarten, die auch in den Wintermonaten in milderen Phasen noch aktiv sind. Da sind neben Winterraps/-getreide auch verschiedene Wintersalate und Winterkohlarten zu nennen.
Bei anderen Pflanzenarten, wie den Obstgehölzen, ist dies aber deutlich komplizierter. Diese besitzen einen Schutzmechanismus, der verhindert, dass es während warmen Witterungsabschnitten im Winter zu einem frühzeitigen Austrieb kommt. So gibt es verschiedene Phasen der Winterruhe, während derer sich antriebshemmende Stoffe in den Blütenknospen ausbreiten, die einen frühen Austrieb bei günstigen Temperaturen verhindern. Dieser Stoff wird in der Folge langsam abgebaut. Details über den Prozess finden sich in verschiedenen Veröffentlichungen, z.B
Die immer milderen Winter führen also nicht automatisch zu einem früheren Austrieb, entscheidend für eine Verfrühung ist die Temperatur im Frühjahr. Zwar erkennt man auch bei Obstgehölzen, wie dem Apfel, dass sich der mittlere Austrieb verfrüht hat, der Verfrühung sind aber natürliche Grenzen gesetzt.
Auswirkungen der wärmeren Winter auf das Schädlingsaufkommen
Auch lassen sich keine pauschalen Aussagen über ein vermehrtes Schädlingsaufkommen machen. Es ist zwar richtig, dass wärmere Winter vor allem bei Schädlingen, die ursprünglich aus warmen Gebieten stammen, zu einem Anstieg der Population führen, andersherum bedeuten kalte Winter aber nicht zwingend, dass viele Schädlinge absterben. Was ihnen eher zu schaffen macht, sind häufige Wechsel von Frostperioden und milden Abschnitten.
Man sieht also, dass die Phänologie im gesamten nicht linear auf Veränderungen durch die Klimaerwärmung reagiert, sondern es auch andere Einflussfaktoren gibt, die ebenfalls eine Rolle spielen. Es ist aber nachweisbar, dass sich im Mittel die Vegetationsperiode verlängert und die Winterruhe kürzer ausfällt. Inwiefern dies positive oder negative Konsequenzen hat, ist nicht pauschal zu beantworten und wird auch weiterhin erforscht.
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Im Übrigen: Sie können uns bei der Erfassung des Zustandes der Vegetation mit Ihren Meldungen über die Warnwetter App unterstützen. Die Zumeldungen stellen eine gute Ergänzung des phänologischen Meldenetzwerks in Deutschland dar.
Dipl. Met. Marcus Beyer mit fachlicher Unterstützung von Bianca Plückhahn
Dipl.-Met. Marcus Beyer
Deutscher Wetterdienst
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Offenbach, den 20.03.2024
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