“Nebel des Grauens” in der Silvesternacht 2019/2020
Kaum waren die ersten Feuerwerke gezündet, sorgte in der Neujahrsnacht 2019/2020 stellenweise extrem dichter Nebel für Chaos. Ursache war der sogenannte “Böllernebel”.
Erinnern Sie sich noch an die letzte Silvesternacht? War es bei Ihnen in den ersten Stunden des neuen Jahres 2020 auch sehr neblig? In der Vorhersage- und Beratungszentrale ahnten wir schon im Voraus, dass nach Mitternacht gebietsweise die Raketen schnell im Nebel verschwinden – und es kam wie erwartet.
Kaum waren die ersten Silvesterraketen abgefeuert, entstand vielerorts in Deutschland ein gruseliges Nebelmeer. Man konnte sprichwörtlich die eigene Hand nicht mehr vor Augen sehen. Es dauerte auch nicht lange, bis uns die ersten Anrufe von Feuerwehr und Rettungsleitzentralen erreichten. Sie berichteten von extrem dichtem Nebel mit Sichtweiten von nur 5 bis 10 Metern, der Autofahren nahezu unmöglich machte. Bis in die Morgenstunden erfragten noch mehrere Einsatzleiter, wie lange der extreme Nebel noch andauere. Sie klangen teilweise geradezu verzweifelt und berichteten von apokalyptischen Szenen. Über mehrere Stunden waren Rettungs- und Feuerwehreinsätze nicht mehr möglich oder die Einsatzkräfte liefen zu Fuß vor den Einsatzfahrzeugen her, um den Fahrern den Weg zu weisen. Man konnte nur hoffen, dass zu diesem Zeitpunkt niemand schnelle Hilfe benötigte.
Besonders dicht war der Nebel im Bereich von Siedlungen in einem breiten Streifen, ausgehend vom Emsland und dem Osnabrücker Land über das Ruhrgebiet und Nordhessen bis nach Franken. Auch aus dem Verwandtenkreis des Autors kam die Nachricht, dass südlich vom oberfränkischen Bamberg Nebel mit Sichten von nur etwa 5 Meter herrschte und dass man nicht einmal mehr von der einen Straßenseite die Häuser auf der anderen Straßenseite erkennen konnte! Selbst um 5 Uhr morgens waren noch über 20 Verkehrsmeldungen mit Sichtweiten unter 10 Metern auf Autobahnen in NRW aktiv, auch in Hessen und Franken gab es ähnliche Meldungen, wie z.B. auf dem Frankenschnellweg, der A73 bei Erlangen.
Mitverantwortlich für den dichten Nebel waren die bunten Feuerwerke, weshalb Meteorologen auch von “Feuerwerksnebel” oder “Böllernebel” sprechen. Um dieses gefährliche Phänomen zu verstehen, schauen wir uns zunächst an, wie “gewöhnlicher” Nebel entsteht. Besonders in klaren Nächten kühlt die Luft durch (thermische) Ausstrahlung vom Boden ausgehend immer weiter ab. Da kalte Luft weniger Feuchtigkeit in Form von (unsichtbarem) Wasserdampf speichern kann, ist sie je nach Feuchtigkeitsgehalt ab einer bestimmten Temperatur gesättigt. Die Luft besitzt dann eine relative Feuchtigkeit von 100%. Bei weiterer Abkühlung kondensiert das überschüssige Wasser zu kleinen Wassertröpfchen und es bildet sich Nebel. Nebel ist also eine Wolke, die am Boden aufliegt.
Damit Wasserdampf effektiv zu flüssigem Wasser kondensieren kann, dienen sogenannte Kondensationskerne als Andockstation, um die sich schließlich die Wassertröpfchen bilden (linke Abbildung). Kondensationskerne sind winzige schwebende Luftpartikel (z.B. Staub-, Salz- oder Rußpartikel), sogenannte Aerosole, die seit einigen Monaten auch der Allgemeinheit ein Begriff sind. Werden nun Feuerwerkskörper gezündet, gelangen zusätzlich zu den natürlichen Aerosolen Unmengen an Rußpartikeln (Feinstaub) in die Luft – beste Voraussetzungen also für die Bildung von Nebel. Anstelle von vergleichsweise “wenigen” größeren Nebeltropfen bei einer gewöhnlichen Anzahl von Kondensationskernen können sich mit dem zusätzlichen Feinstaub unzählbar viele kleinste Nebeltröpfchen bilden, die zu einem deutlich dichteren Nebel als unter “Normalbedingungen” führen.
In der beschriebenen Silvesternacht führte ein Zusammenspiel mehrerer Wetterfaktoren zu den extremen Ausmaßen des Böllernebels. An Silvester überquerte tagsüber eine Kaltfront Deutschland von Nord nach Süd und reicherte die Luft mit Feuchtigkeit an. Dahinter bildete sich über Süd- und Westdeutschland rasch ein Hoch. Folglich lösten sich die Wolken auf, der Himmel klarte auf und die Luft kühlte schnell aus. So stieg die relative Luftfeuchtigkeit auf 95% oder mehr. Im Ems-, Münster- und Osnabrücker Land bildete sich bereits vor Mitternacht Nebel, im Rest des oben genannten Streifens fehlte nicht mehr viel zur Sättigung (und Nebelbildung). Zudem herrschte nahezu Windstille, sodass der Feinstaub nicht weggeweht wurde. Gleich zwei Inversionen dienten als Deckel, unter denen sich der gesamte “Feuerwerksdreck” ansammelte (rechte Abbildung). Im Radiosondenaufstieg von Bergen (Niedersachsen) erkennt man zum einen die Absinkinversion des Hochs in etwa 800 m Höhe sowie eine am Boden aufliegende Inversion, entstanden durch Strahlungsabkühlung. Der vom Feuerwerk verursachte Feinstaub konnte also nicht entweichen. Feinstaubmessungen registrierten nach Mitternacht einen plötzlichen Anstieg der Konzentrationen auf ein Vielfaches der Werte vom Nachmittag. Die beschriebenen Wetterbedingen erklären also die extrem hohe Anzahldichte an Kondensationskernen und somit die Bildung des unglaublich dichten Böllernebels.
In diesem Jahr ist Böllernebel natürlich kein Thema, nicht nur, weil wegen der aktuellen Corona-Auflagen die Böllerei weitgehend ausbleiben dürfte. Auch die Wetterbedingungen sind anders als in der letzten Silvesternacht. Ein kleines Tief bringt uns nasskaltes Wetter, zeitweise fällt Schneeregen oder Schnee. Nur in den Niederungen im Südosten Bayerns könnte es stellenweise neblig werden, am Silvesterfeuerwerk sollte das aber nicht liegen.
Einen guten Start ins neue und hoffentlich weniger turbulente Jahr 2021 wünscht
Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach, den 30.12.2020
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