Radiosondenaufstieg für Fortgeschrittene, oder: Das Potenzial einer Luftmasse!
Nach den beiden ersten Teilen zum Thema “Radiosondenaufstieg” im vergangenen Juli, beschäftigen wir uns im heutigen Thema des Tages mit dem Potenzial einer Luftmasse.
Trocken- und Feuchtadiabaten, Sättigungsmischungsverhältnis, Hebungskondensationsniveau – noch nie gehört? Dann am besten jetzt schnell nochmal in die ersten beiden Teile dieser Reihe reinschauen (Einsteiger: https://www.windinfo.eu/sommer-extrem-wird-normal/, Fortgeschrittene: https://www.windinfo.eu/hochs-und-tiefs-im-wechsel/. Diese Begriffe gehören nämlich zum Fundament, auf dem das heutige Thema des Tages aufbaut.
Wie Sie nun bereits wissen, ist das Hebungskondensationsniveau (kurz: HKN) die Höhe, bis zu der Luft gezwungenermaßen aufsteigen muss, damit sie gesättigt ist. Das bedeutet, sie ist dann soweit abgekühlt, dass sie maximal nur noch so viel Wasserdampf halten kann, wie sie zu Beginn des Aufstiegs bereits in sich trug. Im Skew-T-Diagramm ist das der Schnittpunkt der Trockenadiabate ausgehend von der Start-Temperatur der Luft mit der Linie gleichen Sättigungsmischungsverhältnisses entspringend vom Start-Taupunkt der Luft.
Würde das HKN nun links von der gemessenen Temperaturkurve liegen, wäre unsere bis dahin aufgestiegene Luft kälter als die Umgebungsluft. Da kalte Luft schwerer ist als weniger kalte bzw. warme Luft, müsste ein weiterer Aufstieg unserer Luft weiterhin erzwungen werden (z.B. durch die Orographie). Nehmen wir mal an, dass dieser Zwang weiterhin anhält, d.h. unsere bei Erreichen des HKN gesättigte Luft steigt weiter auf, dann tut sie das entlang der durch das HKN imaginär laufenden Pseudoadiabaten. Sie kühlt nun also um 0,65 Grad pro 100 m Aufstieg ab. Jetzt kann es passieren, dass diese Pseudoadiabate irgendwann die Temperaturkurve der Umgebungsluft schneidet. Das bedeutet, dass auf einmal die zum Aufstieg gezwungene Luft wärmer und damit leichter ist als die Umgebungsluft. Ab diesem Zeitpunkt kann sie endlich völlig frei aufsteigen – ohne jeglichen Zwang. Man spricht bei diesem Punkt auch vom Niveau freier Konvektion (NFK).
Liegt das HKN dagegen rechts der gemessenen Temperaturkurve (wie in der Abbildung ganz knapp zu sehen (https://bit.ly/2QBE3YR)), wäre die bis dahin aufgestiegene Luft jetzt schon wärmer und damit leichter als die sie umgebende Luft. Sie kann damit bereits vom HKN aus frei in die Höhe schießen (ebenfalls entlang der Pseudoadiabaten). HKN und NFK sind in diesem Fall also auf derselben Höhe.
Ausgehend vom NFK steigt die Luft nun soweit auf, bis ihre Aufstiegskurve (Pseudoadiabate) die Temperaturkurve der Umgebungsluft (erneut) schneidet. Ab diesem Punkt ist ihre Temperatur also niedriger als die der Umgebungsluft und ihr Aufstieg findet ein Ende. Das kann durchaus erst am Oberrand der Troposphäre sein, also in unseren Breiten im Sommer in rund 12 km Höhe – bei besonders starken Gewittern sogar erst in der angrenzenden Stratosphäre.
Kommen wir nun abschließend zum potentiellen Energiegehalt der Luftmasse, die für Konvektion – also die Entwicklung von Schauern und Gewittern – zur Verfügung steht, kurz: CAPE (Convective Available Potential Energy). Die CAPE ist ein Maß dafür, wie stark Luft gehoben werden kann. Sie hängt stark von der bodennahen Feuchtigkeit und der Instabilität ab, also vom Taupunkt und der Temperaturabnahme mit der Höhe der (Umgebungs-)Luft. Je feuchter und instabiler also die Luft ist, desto höher ist auch die CAPE. Die CAPE findet man im Skew-T-Diagramm ausgehend vom NFK als Fläche zwischen der Aufstiegskurve der Luft (Pseudoadiabaten) und der Temperaturkurve der Umgebungsluft, wobei erstgenannte Linie rechts der Zweitgenannten liegen muss.
Hohe CAPE-Werte sind ein Indiz für potentiell starke Aufwinde innerhalb eines Gewitters. Diese sind wiederum eine Voraussetzung für großen Hagel, denn nur dann können die Eiskörner lang genug in der Gewitterwolke wachsen. Allerdings muss dafür das Gewitter auch entsprechend lang bestehen und nicht schon nach 20 Minuten wieder in sich zusammenfallen. Das würde nämlich passieren, wenn keine oder nur eine geringe Windscherung vorhanden ist. Unter Windscherung versteht man die Zunahme der Windgeschwindigkeit mit der Höhe. Ist sie hoch genug, kann sich ein Gewitter organisieren, d.h. Auf- und Abwindbereich des Gewitters sind voneinander getrennt. Dadurch fällt der Regen im Abwindbereich nicht in den Aufwindbereich und die Zufuhr feuchtwarmer Luft in letzteren bleibt aufrechterhalten.
CAPE und Windscherung sind allerdings völlig “nutzlos”, wenn die Luftmasse nicht “zündet”, d.h. kein Mechanismus vorhanden ist, der die Luft am Boden tatsächlich aufsteigen lässt. Der nötige Hebungsimpuls kann beispielsweise von Fronten oder Bergen ausgehen oder auch aus höheren Luftschichten erfolgen. Passt dann alles, heißt es in Deckung gehen! Denn dann kann die Atmosphäre zeigen, was in ihr steckt.
Dipl.-Met. Tobias Reinartz
Deutscher Wetterdienst Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach, den 30.08.2020