Sumpflage
Das heutige Thema des Tages erklärt, warum die Prognosen für die kommenden Tage so knifflig sind.
Der Ausblick auf die kommende Woche ist eine Freude für alle “Stormchaser” (chaser = Verfolger), denn die Wetterlage liefert in den kommenden Tagen praktisch überall in Deutschland reichlich Potential für zum Teil kräftige Gewitter.
Mit ein Grund dafür ist die Druckverteilung über Mitteleuropa. Zwischen hohem Luftdruck über dem Nordatlantik und tendenziell eher tiefem Luftdruck über Nordosteuropa sind die Luftdruckgegensätze über Mitteleuropa schwach ausgeprägt. Immerhin: Ein flaches, also nur schwach ausgeprägtes Tief (XERO) erstreckt sich heute (Montag, 28.6.) vom Ärmelkanal bis nach Deutschland und weist dabei gleich mehrere Kerne auf. Es zieht in den kommenden Tagen zögerlich über Deutschland hinweg nach Osten. Dabei suggeriert das Wort “ziehen” fast schon zu viel an Dynamik. Im Grunde trödelt XERO auf seinem Weg wo es nur geht und erreicht folglich Polen und das Baltikum erst am kommenden Donnerstag. Es scheint, als lege XERO mehr Wert auf Metamorphose. So ändert sich XEROs Form permanent, und auch die Ausprägung und Lage der Kerne ist ein ständiges, diffus-nebulöses Wechselspiel. Solche Wetterlagen mit schwer greif- und vorhersagbaren flachen Tiefdruckgebieten werden von uns Meteorologen gerne als “Sumpflagen” bezeichnet – wenn sie in Verbindung mit feuchter-labiler Luft auftreten, was aktuell der Fall ist.
Für eine verlässliche Prognose des Wetters hofft man dann auf klare Strukturen in der mittleren und höheren Atmosphäre. Diese können mitunter das Manko ausgleichen, dass man keine präzisen Aussagen über die Entwicklung des Drucks am Boden treffen kann. Allein: In der aktuellen Lage könnte man etwas despektierlich behaupten, dass auch diese Prognosen mehr Fragen aufwerfen, als dass sie Antworten liefern.
Zumindest eines ist beim Blick auf die Situation in der mittleren Atmosphäre klar: Unser Wetter wird in den kommenden Tagen von einem Höhentief beeinflusst. Dieses ist heute noch im Bereich der Loiremündung zu finden. Aber: Das Höhentief entpuppt sich als Seelenverwandter von XERO und somit gehört “Geschwindigkeit” nicht zu seinen Kernkompetenzen. Mehr noch – auch seine Form und Lage lässt sich von den Vorhersagemodellen nur schwer fassen.
In der beigefügten Grafik sind auf der linken Seite das Geopotentialfeld sowie die Temperatur in etwa 5,5 km Höhe für den kommenden Donnerstag um 14 Uhr MESZ dargestellt, oben vom Modell IFS des Europäischen Zentrums für Mittelfristige Wettervorhersage, unten vom Modell ICON des Deutschen Wetterdienstes. Wir sehen das Höhentief als “schiefe Murmel”, es erstreckt sich bei IFS vom östlichen Ärmelkanal bis nach Böhmen, bei ICON dagegen vom Kattegat bis nach Österreich. Deutliche Unterschiede ergeben sich aber auch bei der Temperaturverteilung. Laut des DWD-Modells ICON sollen die entsprechenden Werte in 5,5 km Höhe über dem Kattegat bei etwa -20°C, laut IFS dagegen nur bei -12°C liegen. Da beide Größen Einfluss auf die Hebungsprozesse und damit auf mögliche Schauer und Gewitter haben, lassen sich auch aus der Höhenkonfiguration keine präzisen Vorhersagen ableiten.
In gewisser Weise ist die Situation also doppelt misslich. Und die “doppelt-misslichen Prognosen” sind dann in Form des bis in die Nacht zum Samstag akkumulierten Niederschlages (rechte Seite der Grafik; oben: IFS, unten: ICON) dargestellt. Besonders auffällig ist natürlich der Nordosten. Während ICON bis in die Nacht zum Samstag südlich der Mecklenburgische Seenplatte über 100 l/qm an Regen simuliert, sind es bei IFS nur etwa 20 l/qm. Ähnlich, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen, präsentiert sich die Situation in Nordfriesland. Dort fällt, wenn man ICON glauben möchte, praktisch kein Regen, während IFS dort um 50 l/qm andeutet.
Festzuhalten bleibt: Sumpflagen stellen die Meteorologen und ihre Modelle immer wieder vor große Herausforderungen. Wie Sie sehen, ist dies auch aktuell der Fall. Die Prognosen für die kommenden Tage sind noch sehr unsicher, und die Modelle werden uns noch einige interessante Vorschläge zur Entwicklung des Wetters machen.
Dipl.-Met. Martin Jonas
Deutscher Wetterdienst Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach, den 28.06.2021