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Die beeindruckende Entwicklung von Hurrikan Otis

Mindestens 27 Tote und schwere Verwüstungen! Das ist das Resultat von Hurrikan Otis, welcher am vergangenen Mittwoch die mexikanische Großstadt Acapulco erreichte.

DWD Die beeindruckende Entwicklung von Hurrikan Otis 1

Otis entwickelte sich am Sonntag den 22. Oktober südlich von Mexiko über dem östlichen Pazifik zu einem tropischen Sturm. Seine Intensität änderte sich zunächst nur wenig, bevor am Dienstag eine rapide Intensivierung von einem tropischen Sturm zu einem Hurrikan der Kategorie 5 mit einem Kerndruck von 923 hPa und Windgeschwindigkeiten von bis zu 270 km/h einsetzte.

Trotz der Fortschritte in der Vorhersage von Hurrikans in den letzten Jahrzehnten deutete kein Vorhersagemodell, nicht einmal ansatzweise eine derartige Intensivierung an. In der Vorhersage vom 24. Oktober um 00 UTC simulierten alle Modelle für die nächsten 48 Stunden für Otis tropische Sturmstärke mit Windgeschwindigkeiten von lediglich 63 bis 118 km/h.

DWD Die beeindruckende Entwicklung von Hurrikan Otis 2

Doch wie ist das möglich? Dazu schauen wir uns zunächst einmal an, welche Bedingungen für eine Intensivierung gegeben sein müssen. Damit sich tropische Stürme weiter intensivieren können, benötigt es warme Meeresoberflächentemperaturen von mindestens 26 Grad bis in eine Tiefe von 50 Metern. Zudem ist für eine rapide Verstärkung (Windzunahme von mindestens 55 km/h in 24 h) eine Meeresoberflächentemperatur von mindestens 28 Grad förderlich. Dies war zu diesem Zeitpunkt in der Region über große Flächen gegeben. Teils wurden sogar über 30 Grad gemessen. Gefördert werden diese ungewöhnlich hohen Temperaturen auch durch das Klimaphänomen. Damit steht dem potenziellen Sturm ein gigantisches Energiereservoir zur Verfügung. Zudem ist eine schwache vertikale Windscherung sowie eine geringe Feuchte vor allem in der unteren Atmosphäre notwendig, sodass ein Sturm eine symmetrische Struktur annehmen und sich weiter intensivieren kann. Die Scherungswerte waren allerdings kurz vor der rapiden Intensivierung mit 10 bis 15 Knoten erhöht und zusätzlich die Feuchte im Umfeld relativ gering. Kommen hohe Scherungswerte und geringe Feuchtigkeit zusammen, so bedeutet das, dass keine weitere Verstärkung möglich ist. Häufig ist das sogar der Todesstoß für den Sturm.

Doch neue Forschungsergebnisse zeigen, dass sich tropische Stürme auf zwei verschiedene Arten zu einem Hurrikan rapide intensivieren können. Die klassische Theorie ist, dass solche Stürme zu gewaltigen Hurrikans der höchsten Kategorie heranwachsen können, falls hohe Wassertemperaturen, geringe Windscherung und eine hohe Feuchte gegeben sind. Ein Beispiel hierfür sind die verheerenden Hurrikane Andrew (1992), Katrina (2005) und Maria (2015). Allerdings können sich tropische Stürme auch rapide zu einem Hurrikan der Kategorie 1 oder 2 bei hoher Windscherung intensivieren. Entscheidend hierfür sind dabei „Gewitterausbrüche“ außerhalb des Sturms, welche die klassische Zirkulation des Wirbelsturms umgestalten. Dadurch kann sich der Sturm innerhalb von nur wenigen Stunden zu einem Hurrikan leichter bis moderater Intensität verstärken. Dieser Prozess könnte bei Otis eine wichtige Rolle gespielt haben, da dies momentan noch nicht ausreichend von den Modellen dargestellt wird. Dieser „Sprint“ dauert nur kurze Zeit und könnte gerade in Zeiten der globalen Erwärmung eine immer wichtigere Rolle spielen. Otis entwickelte sich allerdings weiter und wuchs zu einem „Major Hurrikan“ der Kategorie 5 heran. Dadurch, dass dieser Prozess nicht adäquat in den Modellen simuliert wurde und damit auch kein Hurrikan im weiteren Verlauf in der Modellwelt entstanden ist, könnte es zu den enormen Unterschieden in der Intensitätsvorhersage von Otis gekommen sein (siehe Abbildung 2). Denn stärkere Wirbelstürme nehmen auf der einen Seite größeren Einfluss auf die Umgebungsbedingungen und sind auf der anderen Seite auch persistenter gegen Faktoren, die die Intensität verringern können, wie zum Beispiel eine erhöhte Windscherung.

Dieser Fall zeigt eindrücklich, dass trotz der deutlichen Fortschritte in der Vorhersage von Hurrikans noch erheblicher Forschungsbedarf besteht, um die Vorwarnzeit für solche Extremereignisse mit sehr hohem Schadenspotential zu vergrößern.

M.Sc Meteorologe Nico Bauer
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 28.10.2023

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Ex-Tropenstürme in Europas Wetterküche

Recht turbulent geht es aktuell im Wettergeschehen zu. Auch wenn sich nicht alle Facetten des Geschehens bei uns in Deutschland bemerkbar macht, so ist man auch hierzulande von dem ein oder anderen Unwetterereignis nicht verschont geblieben. An vorderster Stelle sei dabei der am vorgestrigen Donnerstag aufgetretene Tornado in der Eifel genannt Dieser stand im Zusammenhang mit Ex-Hurrikan „Lee”, dessen Überreste sich zu jenem Zeitpunkt als kräftiges Tiefdruckgebiet über dem europäischen Nordmeer befanden, und dessen ausgeprägte Kaltfront uns überquerte. An der Kaltfront kam es dann zur Bildung einer ausgeprägten Gewitterlinie, in die auch die tornadoproduzierende Superzelle eingelagert war.

Hier hatte also schon einer der ehemaligen Tropenstürme seine Finger im Spiel. Aber auch danach geht die Geschichte noch weiter: Rückseitig führt Ex-„Lee” aktuell relativ kühle Polarluft nach Deutschland, während bereits der nächste Ex-Tropensturm bzw. -Hurrikan auf dem Atlantik herannaht. Dazu gleich mehr. Zunächst aber führt dieses „Sitzen zwischen den Stühlen” dazu, dass aktuell ein neues Hochdruckgebiet namens „Rosi” von den Azoren seinen Einflussbereich bis zu uns nach Mitteleuropa ausweitet und sich dabei noch verstärkt. Die Folge: Zunehmend trockenes und sonnenscheinreiches Wetter, wobei gerade anfangs noch einige Wolkenfelder mit von der Partie sind, die dem Sonnenschein im Wege stehen.

Interessant wird es auch zu Beginn der neuen Woche. Dann kommt mit Ex-„Nigel” der nächste, bereits schon erwähnte, ehemalige Hurrikan ins Spiel. Dieser zieht im Laufe der kommenden Tage vom Atlantik voraussichtlich an Schottland vorbei Richtung Nordmeer und saugt dabei aus Südwesten jede Menge Warmluft an, die uns im Anschluss auch in Deutschland erreicht. Gleichzeitig bleibt mit der Warmluftzufuhr der Hochdruckgürtel erhalten, der sich in der neuen Woche von den Azoren bis nach Nordosteuropa erstreckt, wo Hoch „Rosi” zu diesem Zeitpunkt liegen wird. Damit bleibt Deutschland zunächst auch vom Einfluss etwaiger Tiefausläufer – sprich: Fronten – verschont. Ins Wettergeschehen übersetzt bedeutet das: Eine ganze Menge Sonnenschein und nochmals spätersommerlich warme Temperaturen. Laut aktuellen Modellprognosen könnte es demnach Mitte der kommenden Woche in einigen Landesteilen nochmals auf bis zu 27 °C hochgehen mit den Temperaturen.

Aber auch der Blick über die Grenzen sollte nicht unbeachtet bleiben: Ex-„Nigel” soll dann als ausgewachsenes Orkantief über die Britischen Inseln ziehen. Je nach Variante wären entweder Schottland, oder aber auch England inklusive Großraum London betroffen, die die volle Orkanwucht zu spüren bekämen. Einige Szenarien könnte man durchaus als „wild” bezeichnen, aber die Prognosen sind auch dementsprechend derart unsicher, dass erstmal weiteres Abwarten angesagt ist. Für Details ist es ohnehin noch zu früh.

DWD Ex Tropenstuerme in Europas Wetterkueche 1

DWD Ex Tropenstuerme in Europas Wetterkueche 2

M.Sc . Felix Dietzsch
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 23.09.2023
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Tropische Wirbelstürme im Mittelmeer

Bestimmt erinnern sich viele noch an die Bilder der verheerenden Überschwemmungen in Griechenland und am vergangenen Sonntag in Libyen. Dabei kamen in Griechenland teils um 1000 mm innerhalb von 3 Tagen zusammen. Dies ist mehr als der mittlere Jahresniederschlag von Hamburg, der bei rund 800 mm liegt. Verantwortlich dafür war ein abgekoppeltes Tiefdruckgebiet, welches sich nahezu stationär über den griechischen Inseln befand und sich im Laufe seiner weiteren Entwicklung dann nur sehr langsam über das warme Mittelmeer nach Libyen verlagerte. Bei dieser Zyklone handelte es sich um ein sogenanntes Cut-Off Tief, dass sich aufgrund eines ausgeprägten blockierenden Hochdruckgebietes über Mitteleuropa von der Höhenströmung abschnürte. Solche blockierenden Wetterlagen sind vor allem im Spätsommer und Herbst häufig die Grundlage für schwere Unwetter im Mittelmeerraum. So auch in der vergangenen Woche als sich Tief DANIEL abkoppelte und sich in Richtung östliches Mittelmeer verlagerte.
DWD Tropische Wirbelstuerme im Mittelmeer 1

Nachdem DANIEL in Teilen Griechenlands für extreme Niederschlagsmengen gesorgt hatte, verlagerte er sich auf das östliche Mittelmeer. Die sehr hohen Wassertemperaturen von teils über 26 Grad führten zu einer Intensivierung der Zyklone zu einem mediterranen Tropensturm. Dies ist ein Sturm über dem Mittelmeer mit tropischen Eigenschaften, bei dem die auftretenden Windgeschwindigkeiten zwischen 64 und 111 km/h liegen. Hätte sich Daniel noch weiter verstärkt, würde man von einem Medicane sprechen. Der Name Medicane setzt sich aus mediterran und Hurrikan zusammen und bezeichnet starke Wirbelstürme mit tropischen Eigenschaften über dem Mittelmeer.

Der Unterschied zu den Hurrikans auf dem Atlantik liegt hauptsächlich in der Struktur des Sturms. Hurrikans besitzen einen hochreichenden, warmen Kern, welcher durch die Energieflüsse vom warmen Ozean entsteht. Mediterrane Stürme im Mittelmeer sind dagegen oftmals nur in unteren Schichten durch einen warmen Kern charakterisiert. In höheren Schichten ist dagegen teils sogar ein kalter Kern vorherrschend, denn zu Beginn der Entwicklung ist vor allem der dynamische Antrieb in Verbindung mit einem in der Höhe mit Kaltluft gefüllten Tief entscheidend. Dies wurde auch bei der Zyklone DANIEL beobachtet. Außerdem befinden sich die höchsten Windgeschwindigkeiten bei Hurrikans in der Augenwand nahe zum Zentrum des Sturms, während mediterrane tropische Stürme die stärksten Winde in den spiralförmigen Bändern im äußeren Bereich haben. Zudem sind diese Stürme auch aufgrund der geringen Ausdehnung des Mittelmeers nicht so groß wie die Exemplare auf dem Atlantik.

DWD Tropische Wirbelstuerme im Mittelmeer

Eines haben die beiden Stürme aber gemeinsam: Und das sind die intensiven Regenfälle, die teils schwere Überschwemmungen auslösen können. Bei der Zyklone DANIEL war dabei neben den hohen Wassertemperaturen des Mittelmeers als Feuchtereservoir auch die langsame Verlagerung des Sturms für die teils extrem hohen Regensummen verantwortlich.

Zudem können auch Medicanes über dem Mittelmeer im Endstadium ein Auge ausbilden. Das wird allerdings relativ selten beobachtet, da viele Stürme über dem Mittelmeer keine Hurrikanstärke erreichen. Damit ist die Rotationsgeschwindigkeit der Stürme meist nicht groß genug, womit die Absinkbewegungen zur Ausbildung eines Auges nicht stark genug sind. Der letzte Sturm, der diese für Hurrikans typische Struktur mit klarem Auge hatte, war Medicane IANOS im September 2020, der in Griechenland für teils schwere Schäden sorgte (siehe Abbildung 3).

DWD Tropische Wirbelstuerme im Mittelmeer 1

M.Sc. Meteorologe Nico Bauer
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 14.09.2023
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Ein Auf und Ab beim Wetter

Das spätsommerliche Wetter im Einflussbereich von Hoch PATRICIA verabschiedet sich allmählich ostwärts, zumindest vorübergehend übernimmt eine Tiefdruckzone die Regie. Der Tiefdruckkomplex HANJO erstreckt sich von der Barentssee über Skandinavien in Richtung Iberischer Halbinsel, verlagert sich ostwärts und gestaltet unser Wetter am heutigen Dienstag und morgigen Mittwoch, im Süden auch noch in Teilen des Donnerstages maßgeblich. Nachfolgend setzt sich wieder Hochdruckeinfluss durch.

Im Einflussbereich der Tiefdruckzone HANJO fließt sehr feuchte und labil geschichtete, also zu Schauern und Gewittern neigende Luft nach Deutschland. Daher kommt es zeit- und gebietsweise zu kräftigen Schauern und Gewittern, die insbesondere mit heftigem Starkregen verbunden sein können. Der Schwerpunkt dieser kräftigen, strichweise unwetterartigen Niederschlagsentwicklung wird für den Dienstagabend und die Nacht zum Mittwoch in einem Streifen vom südlichen NRW über Rheinland-Pfalz und das Saarland nordostwärts bis nach Vorpommern oder auch das nördliche Brandenburg erwartet. Bei diesen häufig gewittrigen Niederschlägen muss neben dem heftigen Starkregen über wenige Stunden lokal auch mit größerem Hagel und Sturmböen (eventuell auch schweren Sturmböen) gerechnet werden. Das Risiko für größeren Hagel und Sturmböen nimmt im Laufe der Nacht ab. Abseits der genannten Zone, vor allem südlich davon, werden ab dem späteren Nachmittag einzelne, lokal aber ebenfalls kräftige Gewitter vor allem über dem Bergland ausgelöst. Lokales Unwetterpotenzial kann auch dort nicht ausgeschlossen werden.

Nach Abzug dieser kräftigen Niederschläge nach Nordosten bis etwa Mittwochfrüh/-vormittag, setzt sich die Wetterberuhigung unter Hoch QUITERIA von Nordwesten bis in die mittleren Landesteile fort. Im Süden und Südosten lebt die Schauer- und Gewittertätigkeit nochmal kräftiger auf, auch mit lokalem Unwetterpotenzial hinsichtlich Starkregen oder auch größerem Hagel. Vor allem am Alpenrand klingen die Niederschläge voraussichtlich erst im Verlauf des Donnerstagvormittages ab.

DWD Ein Auf und Ab beim Wetter

Im Laufe des Donnerstages setzt sich insgesamt meist freundliches und ruhiges Wetter auf geringerem Temperaturniveau durch: Die Höchsttemperaturen liegen am Donnerstag zwischen 18 Grad im Norden und 23 bis 25 Grad im Süden. Zum Wochenende werden 20 bis 27 Grad erwartet. Vor allem in den nördlichen Landesteilen gehen nachts die Temperaturen deutlich zurück, vor allem bei klarem oder gering bewölktem Himmel werden verbreitet Tiefstwerte im einstelligen Bereich auftreten.

Dipl.-Met. Sabine Krüger
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 12.09.2023
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Kleine Gewitterkunde – Teil 5: Die Squall-Line (Gewitterlinie)

Im Thema des Tages vom 6. September ging es um größere Gewitterkomplexe, auch mesoskalige konvektive Systeme (MCS) genannt. Eine spezielle Form ist die im Fachjargon als „Squall-Line“ bezeichnete Gewitterlinie.

Squall-Lines entstehen häufig auf der Vorderseite (d.h. östlich) eines Höhentiefs am Rande der Frontalzone. Dort ist (bedingt durch die hohe ) eine starke Windscherung vorhanden (Zunahme und Richtungsänderung des Winds mit der Höhe). Diese spielt bei der Erhaltung einer Squall-Line eine wesentliche Rolle, wie wir später noch sehen werden. Befindet sich das Tief über dem nahen Ostatlantik oder Westeuropa, so wird mit einer südlichen bis südwestlichen Strömung zudem feucht-warme Subtropikluft nach Mitteleuropa geführt.

Oft bildet sich in dieser Warmluft etwa 100 bis 200 km vor einer Kaltfront in Bodennähe ein rinnenförmiges Tief, in das die Luft von beiden Seiten im Bereich einer Konvergenzlinie zusammenströmt und zum Aufsteigen gezwungen wird. Dadurch entstehen zunächst isolierte Gewitter (Einzelzellen, Multizellen, in seltenen Fällen auch Superzellen). Diese wachsen allmählich zu einer Linie zusammen, die mehrere Hundert Kilometer lang sein kann – die Squall-Line ist geboren. Durch wiederholte Neubildung von Gewittern am Vorderrand kann die Squall-Line über mehrere Stunden andauern. Im fortgeschrittenen Stadium weist der Querschnitt einer Squall-Line eine starke Asymmetrie auf (Abbindung 1). Die Vorderseite ist geprägt von Gewittern mit Starkregen. Diese können eine zusammenhängende Linie bilden (Abbildung 2a) oder Lücken besitzen, bei denen man noch die Aneinanderreihung der einzelnen Gewitter erkennen kann (Abbildung 2b). Dahinter folgt als „Überbleibsel“ der alten Gewitter ein Bereich mit schwachen bis mäßigen und relativ gleichmäßigen Regen, der mit fortscheidender Dauer an Ausdehnung zunimmt.

DWD Kleine Gewitterkunde – Teil 5 Die Squall Line Gewitterlinie 1

Die Squall-Line hält sich durch eine ausgeprägte Eigendynamik am Leben: An ihrer Vorderseite steigt Warmluft im Aufwindbereich (Updraft) auf. Als Gegenbewegung sinkt Luft aus oberen Atmosphärenregionen im Abwindbereich (Downdraft) ab. Durch Verdunsten von Wassertropfen sowie durch Schmelzen und Sublimieren von Eispartikeln wird die Luft im Downdraft stark abgekühlt. Da kalte Luft schwerer ist als warme Luft, wird der Downdraft auf seinem Weg nach unten beschleunigt, bis die Luft am Boden horizontal ausströmt. Durch die zahlreichen Gewitter entlang der Squall-Line kann so ein massives Kaltluftreservoir entstehen, das als Kältepool bezeichnet wird (Abbildung 1).

DWD Kleine Gewitterkunde – Teil 5 Die Squall Line Gewitterlinie 2

Bei fehlender Windscherung würde der Kältepool in die Warmluft fließen und den Aufwindbereich von der Warmluft abschneiden. Die Gewitter würden sich also rasch wieder auflösen. Die Windscherung führt allerdings dazu, dass an der Vorderseite der Gewitterlinie der Wind in Bodennähe dem Ausfließen des Kältepools entgegenwirkt (siehe Windpfeile in Abbildung 1). So entsteht ein Gleichgewicht zwischen Kältepool und Windscherung, das gewährleistet, dass der Kältepool zunächst unterhalb der Gewitter verbleibt. Dort schiebt sich die kalte und schwere Luft des Kältepools unter die leichtere und energiereiche Warmluft, wodurch diese gehoben wird. Die kontinuierlich aufsteigende Warmluft kann so wiederholt neue Gewitter auslösen, während die abschwächenden „alten“ Gewitter langsam auf die Rückseite der Squall-Linie wandern und den gleichmäßigen Regen ausbilden. Mit fortschreitender Zeit wird der Kältepool immer mächtiger und dominiert schließlich gegenüber der Windscherung. Nun fließt der Kältepool zunehmend in den vorderseitigen Warmluftbereich und die Squall-Line befindet sich im Auflösestadium.

Studien haben aber gezeigt, dass die reine Wechselwirkung zwischen Kältepool und Windscherung die Langlebigkeit einer Squall-Line nicht vollständig erklären kann. Auch eine Scherung oberhalb des Kältepools bis etwa 5 Kilometer Höhe trägt zur Erhaltung der Squall-Line bei. Zudem spielt ein weiteres Windsystem eine wichtige Rolle: Da die aufsteigende leichtere Warmluft eine geringere Dichte als die schwerere Kaltluft des Kältepools besitzt, bildet sich am Boden ein kleines Hoch (H), auch Gewitterhoch genannt, und direkt oberhalb des Kältepools ein lokales Druckminimum (T). Um einen horizontalen Druckausgleich zu erzielen, strömt von hinten (Rückseite) mit zunehmender Geschwindigkeit Luft in Richtung des Tiefs. Dadurch entsteht oberhalb des Kältepools ein Starkwindband, der sogenannte „Rear Inflow Jet„. Er strömt also in Richtung des Updrafts und kann diesen aufrichten, was zum Erhalt der Squall-Line beiträgt.

DWD Kleine Gewitterkunde – Teil 5 Die Squall Line Gewitterlinie 3

Nach den zugegebenermaßen recht komplexen Erklärungen kommen wir zum Schluss zu den Auswirkungen einer Squall-Line. Neben Starkregen kann es vor allem im Anfangsstadium, wenn die Zellen noch nicht komplett zusammengewachsen sind, mitunter auch zu größerem Hagel kommen. Der ausfließende Kältepool macht sich durch einen plötzlich auffrischenden Wind bemerkbar, der häufig Sturmstärke oder sogar Orkanstärke erreichen kann. Gleichzeitig sinkt die Temperatur meist innerhalb weniger Minuten um 5 bis 10 Grad oder mehr (Abbildung 3), während der Luftdruck sprungartig um mehrere Hektopascal ansteigt (Gewitterhoch im Kältepool). Setzen die Sturmböen zeitgleich mit dem Starkregen der Gewitter ein, ist mit einer Intensivierung der Squall-Line zu rechnen. Frischt der Wind allerdings bereits einige Zeit vor den Gewittern auf, deutet dies darauf hin, dass der Kältepool bereits in die Warmluft eingeflossen ist. Die Gewitter entlang der Squall-Line sind bereits von der bodennahen Warmluft abgeschnitten, weshalb sie sich wahrscheinlich allmählich abschwächen werden, bis sie sich ganz auflösen. Es bleibt nur das großflächige Regengebiet übrig.

Dr. rer. nat Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 10.09.2023
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Der Spätsommer geht in die Verlängerung.

Der Spätsommer geht über das Wochenende hinaus in die Verlängerung. Verantwortlich dafür ist das Hoch „Patricia“ mit Schwerpunkt über Osteuropa, das auch von einem Hoch in den höheren Luftschichten gestützt wird. Derweilen verbleibt eine sehr höhenmilde Luftmasse über Deutschland, sodass das Risiko für einzelne Schauer oder ein kurzes Gewitter über dem Bergland vorerst sehr gering bleibt und die Wolkenbildung allgemein stark gedämpft ist.

DWD Der Spaetsommer geht in die Verlaengerung

Somit steht in den Wetterberichten für den heutigen Freitag, Samstag und Sonntag geschrieben: Nach örtlicher Nebelauflösung sonnig und niederschlagsfrei, mit 25 bis 33 Grad spätsommerlich warm bis heiß. Schwachwindig. Nachts klar, örtlich Nebel bei Tiefstwerten zwischen 19 und 9 Grad.

Die neue Woche beginnt zwar noch spätsommerlich warm, aber von Westen nähert sich ein Tiefdruckgebiet. Dadurch steigt das Gewitterrisiko im Nordwesten sowie an den Alpen an. Die gewittrigen Regenfälle weiten sich dann am Dienstag weiter nach Osten aus. Spätestens ab Mittwoch ist es mit dem Spätsommer „endgültig“ vorbei. Denn mit 18 bis maximal 24 Grad wird es deutlich kühler. Zudem zeigt sich das Wetter weiterhin wechselhaft mit schauerartigen Niederschlägen.
DWD Der Spaetsommer geht in die Verlaengerung 1

Dipl.-Met. Marco Manitta
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 08.09.2023
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Wetterquiz

Auch in den letzten Bundesländern gehen die Schulferien nun zu Ende und es heißt für Millionen Schülerinnen und Schüler wieder pauken und Tests schreiben. Heute versetzen wir Sie, liebe Lesersinnen und Leser, mal wieder auf die Schulbank und testen Ihr Wetterwissen. Wer aufmerksam die Themen des Tages sowie die Pressemitteilungen gelesen hat, oder auch ab und an mal einen Blick ins  des DWD wirft, dürfte keine Probleme bekommen. Das Lösungswort erhalten sie durch die vorangestellten Buchstaben.

Frage 1:
Tehuano-Winde sorgen dafür, dass

S) das Algenwachstum vor der Südküste Mexikos angeregt wird
R) es in Simbabwe viel mehr regnet als im klimatischen Mittel
G) es in der Mongolei ungewöhnlich heiß wird

Frage 2:
Im Jahr 2024 sind die, von der FU-Berlin vergebenen Namen für Tiefdruckgebiete

e) männlich
o) weiblich
l) mal männlich und mal weiblich

Frage 3:
Das Temperaturmittel lag im Sommer 2023 bei
u) 15,9 Grad Celsius
g) 16,3 Grad Celsius
n) 18,6 Grad Celsius
Frage 4:
Im vergangenen Sommer fielen in Deutschland etwa

n) 270 Liter pro Quadratmeter
e) 240 Liter pro Quadratmeter
t) 350 Liter pro Quadratmeter

Frage 5:
In Griechenland fiel bei den vergangenen Unwettern örtlich so viel Regen (rund 700 Liter pro Quadratmeter) wie normalerweise
e) in Offenbach am Main im ganzen Jahr
m) in München im Januar
t) in Berlin im Frühjahr

Frage 6:
In einem Hurrikan der Kategorie 3 herrschen laut der Saffir-Simpson-Skala durchschnittliche Windgeschwindigkeiten über 1 Minute von
r) 209-251 km/h
n) 178-208 km/h
h) 154-177 km/h

Frage 7:
Eines der größten je gefundenen Hagelkörner war über
f) 30 cm groß
w) 3 kg schwer
s) 20 cm groß

Frage 8:
Die Namen Franklin, Idalia und Lee beschreiben
a) die nächsten Teilnehmer eines bekannten TV-Formats
b) die letzte Sturmtiefserie in Deutschland
c) Hurrikans der letzten Wochen im Atlantik

Frage 9:
Bezeichnung für ein Klimagebiet, in dem das vieljährige Mittel des Niederschlags höher ist als die Verdunstung.

h) humid
g) arid
f) trocken

Frage 10:
Der Name der Kraft, die ein Teilchen zum Beispiel bei einem Sturm, vom Zentrum wegzieht, nennt man

j) Druckgradientkraft
e) Zentrifugalkraft
l) Schwerkraft

Frage 11:
Geostationäre Satelliten befinden sich

d) in etwa 850 km Höhe über den Polen
o) in etwa 10500 km Höhe über Mitteleuropa
i) in etwa 35800 km über dem Äquator

Frage 12:
Die derzeit vorherrschende Wetterlage in Deutschland ist

n) Südost antizyklonal
m) West zyklonal
k) Hoch Britische Inseln

Der Verfasser hofft, dass Sie Spaß am Quiz hatten und Sie das Lösungswort erraten konnten. Es sollte mit dem aktuellen Wetter zu tun haben.

Dipl.-Met. Marcel Schmid
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 09.09.2023
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst

Kleine Gewitterkunde – Teil 4: Mesoskalige konvektive Systeme

Auf der einen Seite bringen Gewitter während einer sommerlich warmen oder heißen Witterungsperiode eine willkommene und erfrischende Abkühlung und vertreiben dabei die unangenehme Schwüle. Sie schenken uns und der Natur Regen, der uns das Gießen im Garten erspart und der Vegetation das für Wachstum und Überleben notwendige Wasser. Auf der anderen Seite besitzen schwere Gewitter aber auch ein erhebliches Zerstörungspotential durch Hagelschlag, Sturmböen oder extreme Regenfälle und können für Menschen, die sich im Freien aufhalten, sogar lebensgefährlich werden.

Typische Hitzegewitter (Einzelzellen) bringen nur sehr lokal heftige Niederschlage. Man könnte daher leicht den Eindruck bekommen, die Gewitter zögen allzu oft an einem vorbei. Manchmal bekommt man von den Gewittern gar nichts mit und hält dadurch die Wettervorhersage im Radio, TV oder vom DWD sogar für falsch, da die für die Region angekündigten Gewitter scheinbar ausbleiben.

Anders verhält es sich bei den sogenannten „konvektiven mesoskaligen Systemen“ (engl. „mesoscale convective system“, kurz: MCS). Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss mehrerer Gewitter zu einem größeren Gewitterkomplex, der über mehrere Stunden anhält. Schon allein wegen seiner Größe, aber auch wegen der längeren Lebensdauer, werden bei einem MCS deutlich größere Gebiete von Böen und/oder Starkregen getroffen. Ein solches MCS zog beispielsweise am 16. August dieses Jahres über die Mitte Deutschlands hinweg und brachte vor allem dem Rhein-Main-Gebiet extreme Regenmengen, die u.a. den Frankfurter Flughafen unter Wasser setzten.

Typischerweise kündigt sich ein solcher Gewitterkomplex schon einige Zeit vor Eintreffen der eigentlichen Gewitterzone zunächst mit immer dichter werdenden hohen und weiß erscheinenden Wolkenfeldern an. Es handelt sich hierbei um den sogenannten Cirrus-Wolkenschirm, der sich am Oberrand der Troposphäre (ca. 10-12 km Höhe) horizontal ausbreitet. Einige Zeit später erscheint dann meist im Westen oder Südwesten eine breite „schwarze“ Wolkenwand am Horizont, die langsam immer näherkommt. Dann hört man auch das erste Donnergrollen aus der Ferne. Entsteht das MCS erst am späten Abend oder in der Nacht, dann kann man häufig ein imposantes Wetterleuchten am Firmament beobachten, so auch beim MCS vom 16. August 2023. Noch vor dem Regen kündigen sich die Gewitter schließlich durch eine Böenfront an. Der Wind frischt schlagartig stürmisch auf. Teilweise verursachen schwere Sturmböen, in Einzelfällen sogar Orkanböen größere Schäden wie umgestürzte Bäume oder abgedeckte Dächer. Erst nach dem Sturm setzt dann kräftiger Regen ein, der anschließend in leichten bis mäßigen „Landregen“ übergeht.

Mesoskalige konvektive Systeme entstehen zunächst aus einzelnen Gewittern, die sich zumeist am Nachmittag und Abend zu einem größeren Gewitterkomplex zusammenschließen. Dieser erreicht eine horizontale Ausdehnung von 100 Kilometern und mehr. Die Form eines MCS kann sehr unterschiedlich sein. Mal ist der Wolkenschirm fast kreisförmig oder oval, mal organisieren sich die Gewitter eher linienförmig. Bei letzterem spricht man von einer „Squall-Line„, die im nächsten und vorläufig letzten Artikel dieser Reihe erläutert wird. Vor allem im Anfangsstadium sind die Gewitter oft noch mit heftigem Platzregen und Hagel begleitet, während im fortgeschrittenen Stadium des MCSs ein zunehmend größer werdendes Regengebiet entsteht, in dem die Intensität des stärksten Niederschlags allmählich abnimmt. Dagegen rücken die Sturmböen mehr in den Fokus.

Die größte Form eines MCSs ist der sogenannte „mesoscale convective complex“ (kurz: MCC). Um einen Gewitterkomplex als MCC bezeichnen zu können, müssen mehrere Bedingungen gegeben sein. Zum einen definiert sich ein MCC über die Temperatur am oberen Rand der Wolke. Dabei ist die Temperatur, die die Wolke nach oben ins Weltall abstrahlt, umso niedriger, je höher die Wolke ist. Diese abgestrahlte Temperatur wird mithilfe von Satelliten bestimmt. Man spricht nun von einem MCC, wenn gleichzeitig die Fläche mit Wolkenoberflächentemperaturen kleiner -32 °C größer als 100.000 Quadratkilometer (ca. 360 km Durchmesser bei kreisförmigem MCC) und die Fläche mit Temperaturen kleiner -52 °C größer als 50.000 Quadratkilometer (ca. 250 km Durchmesser) ist. Zudem müssen diese Verhältnisse mehr als sechs Stunden andauern. Der wohl heftigste MCC, der Deutschland in den letzten Jahrzehnten heimgesucht hat, war übrigens das Pfingstmontags-Unwetter vom 9. Juni 2014 (siehe Themen des Tages vom und vom und unten angefügte Abbildung).

DWD Kleine Gewitterkunde Teil 4 Mesoskalige konvektive Systeme

Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 06.09.2023
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst

Der „Stadion-Effekt“ eines tropischen Sturms

Bald ist wieder Wochenende und somit die Zeit für unzählige Fußballfans in die Stadien zu pilgern, um ihren Vereinen die Daumen zu drücken. Können Sie sich noch an Ihren jüngsten Besuch eines Fußballstadions erinnern? Oder haben Sie noch die Bilder im Kopf, wenn bei einem im Fernsehen live übertragenen Spiel ein Blick auf das gesamte Stadion von oben zu erhaschen war? Was gibt es doch für beeindruckende Bauwerke, wo sich das Stadion immer mehr nach Außen neigt, je höher man sitzt und letztendlich in eine riesige Öffnung mündet, die nicht selten von oben gesehen einem Auge gleicht. Der Grund für diese architektonische Ausrichtung ist u.a. der, dass die Zuschauer einerseits die oberen Plätze erreichen wollen (was bei senkrechter Ausrichtung nicht jedem sportlich visierten Fußballfan glücken dürfte), andererseits aber auch gut auf den Fußballplatz einsehen möchten und natürlich verkleinert sich auch der Fußabdruck des Stadions. Doch wieso sprechen wir im heute verfassten Thema des Tages über Fußball und nicht über das Wetter?

Auch beim Wetter gibt es ein Phänomen, dass bei entsprechender Ausprägung im Zentrum sehr einem Fußball-/Baseball– oder Footballstadion ähnelt und dieses ist im Bereich der Tropen zu finden: ein tropischer Zyklon.

Wie bereits in den Themen des Tages vom  und dem  beschrieben gibt es eine satellitengestützte Mustererkennung von tropischen Stürmen, um deren Intensität zu detektieren. Dabei fällt diese Bestimmung nicht selten komplex aus und liefert Nährboden für kritische Diskussionen. Sobald sich jedoch das Auge eines tropischen Sturms gebildet hat vereinfacht sich die Intensitätsabschätzung wieder, kann man doch mindestens von Böen in Orkanstärke ausgehen. Zur Erinnerung, je intensiver der Temperaturkontrast „Auge – Oberflächentemperatur der Gewitterwolken“ ausgeprägt ist, umso kräftiger ist die Dynamik eines Tropensturm bzw. dann Hurrikans/Taifuns/Zyklons etc.

Gerade die intensivste Phase eines Tropensturms mit einem klar definierten Auge ist diejenige, wo der Stadion-Effekt zur Geltung kommt. Wie so oft im Bereich der Tropenmeteorologie ist dessen Entstehung sehr komplex und wird hier stark vereinfacht wiedergegeben.

Zunächst muss man wissen, dass das Auge eines tropischen Sturms aus einer sogenannten „Augenwand“ besteht, in der die höchsten Windgeschwindigkeiten gemessen werden und aus einem nicht selten nahezu windstillen Inneren des Auges.

DWD Der Stadion Effekt eines tropischen Sturms

Im Auge sinkt die Luftmasse ab, erwärmt sich und trocknet ab. Uns interessiert aber vor allem das Geschehen innerhalb der Augenwand. Im unteren Bereich der Augenwand bremst die Reibung den Wind noch merklich ab, sodass z.B. die höchsten Windgeschwindigkeiten innerhalb der Grenzschicht (der Schicht direkt über dem Erdboden bzw. der Meeresoberfläche) erst in durchschnittlich 500 m über Grund erreicht werden. Oberhalb der bremsenden Grenzschicht lässt die Reibung jedoch zügig nach, sodass dort die Windgeschwindigkeit nochmals deutlich zunimmt. Zudem muss man wissen, dass ein gedachtes Luftteilchen während der Umrundung des Auges in der Augenwand unterschiedliche Kräfte spürt – die Kraft, die in das Zentrum des Sturmes zeigt (Druckgradientkraft) und Kräfte, die das Teilchen vom Zentrum wegziehen (z.B. Zentrifugalkraft). Letztere überwiegen bei Windzunahme, sodass die Teilchen mit der Höhe versuchen ein Gleichgewicht zu erreichen, indem sie in immer größeren Bahnen um das Auge zirkulieren. So entsteht ein nach oben sich aufweitender Trichter, der von oben gesehen in Form eines sich vergrößernden Auges zu erkennen ist.
Der Stadion-Effekt ist bei kräftigen Zyklonen besonders gut ausgeprägt und kann vor allem bei tiefstehender Sonne mit entsprechendem Schattenwurf mit Hilfe eines Satelliten bewundert werden. Natürlich funktioniert es auch, wenn der Wettersatellit zentrumsnah (nicht direkt) über das Auge fliegt. Doch wie sieht so ein Stadion-Effekt nun aus?

Beginnen wir mit dem erst kürzlich tobenden Taifun SAOLA, der als sogenannter „Supertaifun“ (Kategorie 4 Sturm der fünfteiligen Saffir-Simpson Skala) die Straße von Luzon westwärts durchquert und das Südchinesische Meer erreicht hat, um sich auf seinem Weg in Richtung Hong Kong allmählich abzuschwächen . Während der intensivsten Phase entstanden die beiden folgenden Bilder.

DWD Der Stadion Effekt eines tropischen Sturms 1

Der Wettersatellit stand äußerst günstig, um den Stadion-Effekt dieses Supertaifuns abzulichten. Im obersten Bild sieht man ein farblich verfälschtes Wasserdampfbild, wobei grüne Farben sehr feuchte Luftmassen anzeigen (Schauer und Gewitter). Im Auge, wo die Luft absinkt und abtrocknet wird die sehr trockene Luftmasse rötlich dargestellt. Dabei erkennt man, dass die Farben nicht schlagartig von sehr feucht zu sehr trocken wechseln, sondern dass es einen allmählichen Übergang gibt. Der Wasserdampfkanal 6.2, der hier zu sehen ist und für die Analyse im oberen Bereich der Troposphäre verwendet wird, misst hier also den allmählichen Abfall innerhalb der Augenwand, der dadurch entsteht, dass diese nach oben geneigt ist und nicht senkrecht abfällt.
Ähnliches sieht man im zweiten Bild (im Infrarotkanal), wo die vom Satelliten ermittelte Temperatur gezeigt wird. Diese liegt dank hochreichender Konvektion ums Auge herum bei unter -60 Grad und steigt im Auge sprunghaft auf über +11 Grad an (real mit feinerer Auflösung wurden sogar bis knapp +20 Grad gemessen). Auch hier wird die geneigte Augenwand visuell eindrücklich gezeigt.

Doch sind wir mal ehrlich – geben wir uns mit diesen Bildern wirklich zufrieden? Nein. Wir zoomen mal ordentlich in das Auge von SAOLA hinein.

DWD Der Stadion Effekt eines tropischen Sturms 2

Alleine die Dynamik und Struktur dieses Auges sind beeindruckend (besonders mit dem Wissen, dass der Sturm über dem offenen Meer tobte), doch beschränken wir uns darauf die Augenwand zu betrachten, die z.B. im südöstlichen Quadranten eine Neigung nach außen hin aufweist. Man kann sich hier bildlich ein Stadion vorstellen. In der Augenwand die Zuschauer und auf dem Platz im Auge die wild tobenden kleinräumigen Wirbel, die einen packenden Tanz aufführen.

Wie bitte, das ist Ihnen noch immer nicht nah genug? Gut, um Ihren Wissensdurst zu befriedigen begleiten wir die sogenannten „Hurricane Hunter“ (Meteorologen, die mit einem Flugzeug in diese Stürme fliegen und Messungen vornehmen) in den Hurrikan Epsilon aus dem Jahr 2020, der Ende Oktober im Nordatlantik tobte.

DWD Der Stadion Effekt eines tropischen Sturms 3

Viel eindrücklicher kann man diesen Effekt kaum mehr darstellen – oder doch? Reizen wir alles aus und beenden dieses Thema des Tages mit einer kleinen Fotocollage. Die Bilder entstanden im Jahr 2015 und sie wurden durch den ehemaligen nordamerikanischen Astronauten Terry Virts von der ISS abgelichtet. Die Bilder zeigen den Supertaifun MAYSAK, der Ende März/Anfang April 2014 im nordwestlichen Pazifik wütete.

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Und wieder zeigt sich, welch Schönheit die zerstörerische Kraft eines tropischen Zyklons hat, wenn man diesen aus sicherer Entfernung betrachten kann, doch darf man nie vergessen, dass eben diese Schönheit beim Landgang Leid und Zerstörung bringt. Mit dem aktuell aktiven und bald sehr intensiven Hurrikan LEE im tropischen Atlantik wird es sicher auch in den kommenden Tagen die Möglichkeit geben den Stadion-Effekt per Satellit oder mit Bildern der Hurrikanjäger aus dem Flugzeug zu bestaunen.

Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 07.09.2023
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst

Ο Κατακλυσμός

„Ο Κατακλυσμός” (lies: „O Kataklysmós”) ist (alt)griechisch und bedeutet „Die Sintflut”. Dies zwar vor allem im biblischen Sinne, aber metaphorisch ist das wohl keine Untertreibung dessen, was in einigen Landesteilen Griechenlands an Wassermassen bei der aktuellen Wetterlage zu erwarten ist.
Die europäische Großwetterlage ist in dieser Woche geprägt von einem Omega-Hoch. Dieses erhält den Namen aus der Form der umgebenden Höhenströmung, die einem großen Omega ähnelt (siehe Abb. 1). Flankiert wird dieses ausgeprägte Hoch von zwei recht kräftigen Tiefdruckgebieten bei Spanien und eben Griechenland. Bereits in Spanien sorgte diese Konstellation regional für heftige Überflutungen durch Starkregen, bei dem in Summe zwischen 50 und etwa 150 mm Niederschlag innerhalb weniger Stunden fielen. Ähnliches steht Griechenland in den nächsten 48 bis 72 Stunden bevor, allerdings in Verbindung mit noch wesentlich größeren Niederschlagsmengen.

DWD Ο Κατακλυσμός

Dabei kommen viele verschiedene Faktoren zusammen. Zum einen liegt das Tiefdruckgebiet über dem Mittelmeer und bewegt sich zunächst kaum von der Stelle. Zum anderen wird an dessen Vorderseite dauerhaft warme, sehr feuchte und hochreichend instabile Luft herangeführt. Diese trifft an der Ostküste des griechischen Festlandes auf etwa 500 m hohe Bergketten, sodass sich dort nahezu stationäre und wiederholt regenerierende Gewitter aufbauen, die entsprechend heftigen Starkregen über lange Zeiträume mit sich bringen. Dieser Vorgang wird von den verschiedenen Wettervorhersagemodellen in verschiedener Ausprägung simuliert. Grundsätzlich gemein ist allen diesen Vorhersagen der Ort des Eintreffens – nämlich die Region Thessalien im zentralen Griechenland – und die Heftigkeit in Form riesiger Niederschlagsmengen von vielen hundert Litern bzw. Millimetern.

DWD Ο Κατακλυσμός 1

Je nachdem, welches Modell man betrachtet, schwanken die Summen zwischen 400 und in der Spitze weit über 1000 mm. Einige dieser Modelle sind in Abb. 2 aufgeführt. Diverse räumlich hochaufgelöste Modelle, die die örtliche Topografie sowie die auftretenden Gewitter noch besser repräsentieren, zeigen entsprechend noch deutlich höhere Summen als in Abb. 2 ersichtlich. Einen Hinweis darauf, dass vierstellige Gesamtsummen fallen können, ergibt sich durch die Tatsache, dass bereits am heutigen Dienstag an der Station Zagorá seit den Frühstunden offenbar über 500 mm Regen gefallen sind. Zur Einordnung: Das ist mehr als die doppelte Menge in einem kürzeren Zeitraum als beim Ahrtal-Hochwasser 2021.

Überhaupt sprengen die erwarteten Niederschlagsmengen wohl so ziemlich jede Statistik. Dass innerhalb von zwei bis drei Tagen über 1000 mm Niederschlag in Modellen simuliert werden, geschweige denn tatsächlich auch fallen, liegt außerhalb der bekannten Erwartungswerte und Wiederkehrzeiten. Welches Ausmaß die Überflutungen annehmen, lässt sich dabei höchstens erahnen, gleichzeitig aber auch schlimmes befürchten.

Auch mittelfristig bleibt es in der Region weiter spannend. Im Anschluss soll das Mittelmeertief südwestwärts ziehen, wo es sich über dem offenen Mittelmeer nochmals verstärkt und sich möglicherweise zu einem sogenannten „Medicane” entwickelt. Dabei handelt es sich um ein Tief, welches aufgrund der hohen Wassertemperaturen von gebietsweise über 26 °C tropischen Charakter annimmt und unter Umständen sogar eine Art Auge wie bei einem Hurrikan ausbildet (daraus leitet sich auch die Namensgebung ab). Trifft es dann nochmals auf Land, was vor allem für die nordafrikanische Küste durchaus realistisch erscheint, würde es dort am kommenden Wochenende für Sturm und weitere heftige Regenfälle sorgen.

M.Sc. Meteorologe Felix Dietzsch
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 05.09.2023
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst