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Reinhard Süring – Bis an die Grenzen und darüber hinaus (Teil 2)

“…Bald darauf fielen wir beide in tiefe Ohnmacht; Berson zog noch unmittelbar vorher mehrfach das Ventil, als er schon seinen Gefährten (Süring) schlafen sah (Berson und Süring 1901). …”

Wie lebensgefährlich das ganze Unternehmen letztlich war, geht aus einer nicht besonders hervorgehobenen Bemerkung in dem Bericht von Berson und Süring hervor: “…Vor oder nach diesem Ventilziehen versuchte auch Süring in lichten Augenblicken seinem schlafenden Kollegen durch verstärkte Sauerstoffatmung aufzuhelfen, aber vergebens. Schließlich werden vermutlich beide Insassen ihre Atemschläuche verloren haben und dann in eine schwere Ohnmacht gesunken sein, aus welcher sie ziemlich gleichmäßig bei etwa 6000 Metern wieder erwachten …”

Dabei war der Ballon im raschen Fall begriffen. Erst bei 2500 m Höhe bekamen beide den Ballon wieder ins Gleichgewicht, doch konnten beide Männer instrumentelle Beobachtungen wegen zu großer körperlicher Schwäche nicht mehr durchführen. Um 18:25 Uhr landeten Süring und Berson im Kreis Cottbus. Sie wurden von einer großen Menschenmenge empfangen und übernachteten im Haus eines Pfarrers. Erst am nächsten Tag wurde mit Hilfe von 30 Mann das schwere Gerät geborgen und nach Berlin zurückgebracht.

Die Rekordhöhe von 10500 m (es können auch 10800 m gewesen sein, doch war die Registriertinte eingefroren, so dass man die Aufzeichnungen des Barographen nicht als einwandfreies Dokument gelten ließ) für eine bemannte offene Gondel wurde seither nie übertroffen. Süring überließ zwar nichts dem Zufall und hatte im Vorfeld der Ballonfahrt mit dem Wiener Physiologen Hermann von Schröter, einem Pionier der Luftfahrtmedizin, die Höhe abgeschätzt, ab der wegen des geringen Luftdrucks auch die Atmung von reinem Sauerstoff nicht mehr genügen würde, um den menschlichen Körper selbst bei absoluter Ruhe ausreichend zu versorgen. Ihr Ergebnis lag bei 12500 Metern. Wie knapp sie damals dem Tot entronnen sind, belegte leider der Versuch des amerikanischen Ballonfahrers Hawthorne C. Gray im Jahr 1927. Sein mitgeführter Barograph registrierte zwar mit 12800 m Höhe einen nochmals um 2000 m höheren Wert, er überlebte diese Fahrt jedoch nicht.

Die weltweite Anerkennung Sürings durch seine waghalsigen Ballonfahrt im Sinne der Wissenschaft ließ nicht lange auf sich warten. Es war letztlich die entscheidende Grundlage zum Nachweis für die Existenz der Stratosphäre (Aßmann, de Bort 1902), in der die Temperatur mit der Höhe wieder zunimmt. Zuvor regierten die Zweifel über Temperaturverfälschungen durch die in diesen Niveaus ungehinderte Sonnenstrahlung. Unter seiner Leitung wurde das Observatorium ein Wolkenforschungszentrum von internationalem Ruf. Süring gehörte zahlreichen internationalen Kommissionen an. Er war somit zurecht einer der bedeutendsten deutschen Meteorologen in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts.

DWD Reinhard Suering Bis an die Grenzen und darueber hinaus Teil 2

Bei allen privaten und dienstlichen Verpflichtungen, die durch seine internationalen Beziehungen und Reputation weiter wuchsen, blieb das Observatorium Potsdam eine Herzensangelegenheit. 35 Jahre nach seiner dort durchgeführten ersten Wetterbeobachtung wurde er im Jahr 1928 zum Direktor ernannt. Mit seiner wohlverdienten Pensionierung 4 Jahre später sollte dieses Kapitel aber noch nicht beendet sein, wovon er selbst zu diesem Zeitpunkt noch nichts ahnte.

Nachdem Potsdam im ersten Weltkrieg fernab des Frontgeschehens lag, sollte sich dies im 2. Weltkrieg ändern. Beim Luftangriff auf Potsdam am Abend des 14. April 1945, der auch als “Nacht von Potsdam” bekannt ist, wurden große Teile der Potsdamer Altstadt komplett zerstört. Kurz darauf wurde die Stadt zur Festung erklärt und die Front mit Kämpfen um Berlin in der Endphase des 2. Weltkrieges am 23. April 1945 erreichte auch die Außenbezirke Potsdams. Das Personal des Meteorologischen Observatoriums auf dem Potsdamer Telegraphenberg wurde bereits am 20. April abgezogen, die letzten verbliebenen Männer für den “Endkampf” zum Militär eingezogen. Die letzte Wetterbeobachtung erfolgte am 20. April um 7 Uhr. Am 24. April vormittags sprengten abziehende deutsche Truppen den Übergang über die Havel, die das Potsdamer Zentrum vom Telegraphenberg trennt. Aber vorher hat offenbar der 79-jährige ehemalige Direktor Reinhard Süring noch den Weg zum Observatorium gefunden und bereits am Nachmittag des 24. Aprils wieder die Wetterbeobachtungen aufgenommen, also noch weit vor der Kapitulation am 8. Mai. Er riskierte für eine lückenlose Beobachtungsreihe im Sinne der Wissenschaft erneut sein Leben. Daraufhin übertrugen ihm die sowjetische Besatzungsmacht nochmals die Leitung des Observatoriums, die er nochmals bis zum 31. März 1950 innehatte. Am 29. Dezember desselben Jahres starb Reinhard Süring im Alter von 84 Jahren in Potsdam.

Ihm zu Ehren wurde im Jahr 2005 in Potsdam die Reinhard-Süring-Stiftung gegründet, die sich zum Ziel gesetzt hat, den historischen Standort des Observatoriums auf dem Potsdamer Telegraphenberg zeitlich unbegrenzt zu erhalten. Die Stiftung fördert die Wissenschaft und Forschung auf dem Gebiet der Meteorologie; sie ist eine der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft nahe Stiftung. Es soll schwerpunktmäßig die umweltrelevante Weiterbildung junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefördert werden.

DWD Reinhard Suering Bis an die Grenzen und darueber hinaus Teil 2

Doch damit nicht genug. Süring ist zugleich auch Namensgeber einer Plakette, die von der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft (DMG) an Persönlichkeiten verliehen wird, die sich hervorragende wissenschaftliche oder organisatorische Verdienste um die Ziele der DMG beziehungsweise ihrer Vorgängergesellschaften erworben haben.

So wird er weiter in Erinnerung bleiben als ein Mann, dem es immer auch am Herzen lag, meteorologisches Wissen zu teilen (unter anderem auch als Herausgeber von Lehrbüchern und Fachzeitschriften) sowie zugleich offen und neugierig gegenüber weiterführender Forschung und teils widersprüchlicher Theorien zu sein.

Diplom Meteorologe Robert Hausen
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 24.05.2024
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Radiosonden: Ein wilder Ritt durch die Atmosphäre

Falls Sie sich fragen “Radiosonde? Welche Sender kann man denn mit dem Ding empfangen?”, sind Sie in diesem Absatz goldrichtig aufgehoben! Denn bei einer Radiosonde handelt es sich nicht etwa um ein Wiedergabegerät von Musik, Nachrichten und Verkehrsmeldungen, sondern schlicht um ein Gerät, das mit einem Sender und mehreren Messfühlern ausgestattetet ist. Angebunden an einen mit zumeist Heliumgas gefüllten Gummiballon, steigt die Radiosonde mit rund 300 Metern pro Minute in die Luft auf und misst dabei stetig Luftdruck, -feuchte und -temperatur sowie indirekt durch die Windverlagerung auch Geschwindigkeit und Richtung des Windes.

Diese Daten werden über den Sender direkt an die Empfangsstation am Boden übermittelt. Kurz darauf stehen sie schließlich uns Meteorologen grafisch aufbereitet zur Verfügung. Sie geben uns wichtige Hinweise, ob beispielsweise in den nächsten Stunden Gewitter entstehen können und mit welchen Begleiterscheinungen dabei zu rechnen wäre oder ob der bald aufziehende Niederschlag als Schnee, Regen oder gar gefrierender Regen fällt. Außerdem liefern die gemessenen Daten neben vielen weiteren Beobachtungsdaten die Basis für die Prognosen unserer Wettermodelle.

Radiosonden sind damit eine unverzichtbare Ergänzung zum Bodenstationsmessnetz, denn Wetter ist nicht zwei-, sondern dreidimensional! Gerade in höheren Luftschichten liegen die eigentlichen Antriebe für unser Wettergeschehen. Die dort stattfindenden Prozesse lassen beispielsweise Hoch- und Tiefdruckgebiete am Boden entstehen oder sorgen manchmal für Schauerwetter, obwohl das heimische Barometer “schön” anzeigt (Stichwort “Höhentief”). Derzeit führt der DWD in Zusammenarbeit mit der Bundeswehr an rund zwei Dutzend Standorten in Deutschland mindestens zwei Mal am Tag (jeweils um 0 und 12 UTC) Radiosondenaufstiege durch.

DWD Radiosonden Ein wilder Ritt durch die Atmosphaere

Noch einmal zurück zum Aufstieg einer Radiosonde. Vielleicht fragen Sie sich, was denn eigentlich mit dem Gerät noch so passiert? Steigt es immer höher und gesellt sich schließlich zum Weltraumschrott? Oder lässt es sich ferngesteuert wieder zurückbringen? Die Antwort ist relativ simpel: Die Physik sorgt für die Rückkehr der Radiosonde. Der Ballon, an dem die Sonde hängt, dehnt sich beim Aufstieg durch den abnehmenden Druck der Umgebungsluft immer mehr aus. Irgendwann stößt das Material des Ballons dann aber an seine Belastungsgrenze. Die Folge: Er platzt! Das ist oftmals in einer Höhe von etwa 20 bis 30 km über dem Erdboden der Fall. Es kann allerdings auch noch deutlich höher gehen wie z.B. am 22.06.2005 bei einem Aufstieg des Observatoriums in Lindenberg: Erst bei stolzen 40 km gab sich der Ballon geschlagen – Rekord beim DWD.

Damit die Radiosonde nun nicht wie ein Meteorit auf die Erde zurast, ist sie mit einem kleinen Fallschirm ausgestattet, mit dessen Hilfe sie auf sanfte Weise wieder festen Boden unter ihre Messfühler bekommt. Dabei sendet sie weiterhin fleißig Messdaten an die Bodenstation. Wo die Sonde dann letztlich landet, hängt natürlich stark vom Wind ab und kann durchaus in der tiefsten Pampa zig Kilometer vom Startort entfernt sein. Tja, und wenn Sie möchten, können Sie nun ins Spiel kommen.

Die Radiosonde sendet nämlich nicht nur meteorologische Messdaten, sondern auch ihren Standort per GPS. Damit lässt sich die Flugbahn der Sonde darstellen, die Sie sich unter  für die verschiedenen Radiosondenstandorte des DWD und der Bundeswehr in Deutschland zu Gemüte führen können. Wie bei einer Schnitzeljagd können Sie sich nun auf den Weg machen, um in der Nähe des letzten GPS-Signals nach der Sonde zu suchen. Während “normale” Radiosonden getrost in die Wertstoffentsorgung gegeben werden können (Batterien bitte gesondert entsorgen!), winkt beim Auffinden einer Ozonsonde, wie sie vom Observatorium Lindenberg und Hohenpeißenberg verwendet wird, sogar ein Finderlohn von 30 Euro.

Aber Vorsicht! Vereinzelt werden die Ballons noch mit Wasserstoff gefüllt. Unter Umständen kann der Ballon nach der Ladung teilweise noch mit dem leicht entzündbaren Gas gefüllt sein. Vermeiden Sie also unbedingt offenes Feuer hinsichtlich der dann bestehenden Explosionsgefahr. Nicht, dass sich die Sonde auf ihre zweite Reise durch die Atmosphäre begibt ….

Dipl.-Met. Tobias Reinartz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 08.11.2023

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Tief bei den Britischen Inseln

Am Samstagabend bzw. in der Nacht zum Sonntag drehen wir die Uhren eine Stunde zurück.

Die Smigielski – Mogil – Burt Vorhersagetechnik für außertropische Tiefdruckgebiete

Im Thema des Tages vom 04.02.2023 wurde bereits eine Vorhersagetechnik vorgestellt, mit der man anhand von Satellitenbildern die Intensität tropischer Stürme ermitteln kann. Dabei zeigte sich, dass diese Technik ihre Stärken und Schwächen hat, jedoch bis heute trotz des Fortschritts in der Vorhersagetechnik nicht aus dem operationellen Dienst wegzudenken ist.

Heute soll eine davon abgewandelte Technik vorgestellt werden, die zwar in den Außertropen bei weitem nicht so häufig im operationellen Dienst angewandt wird, wie die Dvorak Technik in tropischen Gefilden, doch auch sie hat ihre Bewandtnis und Stärke. Der Fokus dieser Technik liegt auf der Intensitätsbestimmung der uns bekannten Herbststürme u.a. im Nordatlantik. Es handelt sich um die sogenannte „Smigielski – Mogil – Burt Vorhersagetechnik, kurz: SMB Technik.

Sie wurde in den 80-iger Jahren entwickelt und somit zu der Zeit, wo Herr Dvorak mit seiner Vorhersagetechnik beim Vorhersagedienst in (sub)tropischen Bereichen immer mehr an Beachtung gewann. In der Tat wurden einige Ansätze der Dvorak-Vorhersagetechnik mit eingebaut und verschmolzen mit Beobachtungen u.a. von Junker und Haller. Diese beiden Meteorologen versuchten bereits 1980 eine sinnvolle Abschätzung des Bodendrucks an Hand von bestimmten Wolkenmustern im Satellitenbild zu erstellen. Die SMB Technik kann daher als eine Verschmelzung des Wissens von unterschiedlichen Meteorologen und Vorhersagegebieten angesehen werden.

Der Nutzen dieser Technik liegt damals wie heute auf der Hand: die Meere sind vergleichsweise datenarme Regionen mit Blick auf reale Messungen. Natürlich werden mittlerweile alle Bereiche mehr oder weniger häufig von Satellitenmessungen abgedeckt, die jedoch ebenfalls ihre (Mess)Unschärfen haben. Viele dieser Messungen finden zudem auf polarumlaufenden Satelliten statt, die einen vergleichsweise kleinen Bereich mit sehr geringer zeitlicher Auflösung abdecken. Schiffe, die Meldungen vom aktuellen Wetter übermitteln könnten, meiden verständlicherweise die Regionen, wo es für uns Meteorologen erst so richtig spannend und interessant wird bzw. wo sich innerhalb der Numerik durch erhöhte Ungenauigkeiten numerische Fehler entwickeln können. Die SMG Technik erlaubt es einem Meteorologen mit vergleichsweise geringem Aufwand ggf. diese Lücken zu überbrücken.

Nach der Durchsicht von Satellitenbildern von mehr als 60 Winterstürmen zwischen Oktober und April auf der Nordhemisphäre ergab sich ein einheitlicher Ablauf, wo grob gesagt eine Zunahme mehrschichtiger Bewölkung um ein Tiefzentrum (verstärkte hochreichende Hebung) sowie eine zunehmende Krümmung dieser Bewölkung für eine Intensivierung des Tiefdruckgebiets sprach. Verifiziert wurde die Technik mithilfe jedmöglicher Daten, die in der Nähe oder zentrumsnah ermittelt wurden (Bojen, Schiffsmeldungen, Landstationen et cetera). Anhand dieser Daten und physikalisch nachvollziehbaren Extrapolationen konnte man sehr häufig die durch die SMB Technik ermittelten Werte verifizieren bzw. falsifizieren. Um nicht die Auswertung der SMB Technik zugunsten dieser Stationen zu verfälschen, fand der Werteabgleich zwischen Messung und SMB Technik erst nach deren Durchführung statt.

Die grobe Annahme in dieser Technik ist die, dass wenn sich ein Tiefdruckgebiet entwickelt, sich dieses nach einem nachvollziehbaren Muster bis zum Reifestadium weiterentwickelt. Dank dieser Annahme war es nun auch möglich u.a. Entscheidungsbäume zu erstellen, die man in der Folge an jedem außertropischen System anwenden konnte. Ein solcher wurde mal eingefügt.

DWD Die Smigielski – Mogil – Burt Vorhersagetechnik fuer aussertropische Tiefdruckgebiete

Ohne jetzt zu tief in die Handhabe dieser Technik einsteigen zu wollen, so fällt auf, dass einer bestimmten Wolkenstruktur des Tiefdruckgebietes ein entsprechender Luftdruckwert (mittig im Bild und rot umrandet) zugeordnet wurde. Je besser der Wolkenwirbel ausgeprägt ist, umso
tiefer wird dessen Kerndruck angesetzt.

Auch hier ist das Hauptwerkzeug die sogenannte „logarithmische Spirale“, mit der bei der Dvorak-Technik das Ausmaß der gekrümmten Konvektionsbänder für die Intensitätsbestimmung bei tropischen Stürmen ermittelt wird. Wie bereits erwähnt, deutet die Krümmung der Bewölkung auch bei den außertropischen Tiefdruckgebieten eine Intensitätsänderung an. Je stärker gekrümmt, umso intensiver das System, weshalb auch hier eine Verwendung diese Spirale möglich ist. Je stärker das Tiefdruckgebiet ist, umso größer sind die Werte der Vorticity
und umso besser bilden sich bestimmte Wolkenstrukturen aus, die um das Zentrum des Sturms angeordnet und repräsentativ für die Intensität des Tiefs sind. Natürlich ist das nur ein Teil der Geschichte/SMB Technik, aber bereits ausreichend,
um sich an ein Beispiel heranzuwagen.

Schauen wir uns mal einen Wetterfall an, der vor wenigen Wochen im September dieses Jahres auftrat. Am 27.09. entwickelte sich über dem östlichen zentralen Nordatlantik ein kräftiges Sturmtief, das in der Folge unter Abschwächung nach Irland zog und auf den Namen KILIAN (international AGNES) getauft wurde. Betrachten wir nun mal die von unterschiedlichen Wetterdiensten durchgeführte Intensitätsabschätzung zum 00 UTC Termin für diesen Tag, so wurden Werte von 968 hPa, 970 hPa und 980 hPa analysiert. Kann hier die SMB Technik etwas Licht ins Dunkle bringen, wer hier näher an der vermeintlichen Wahrheit lag? Das Satellitenbild sollte helfen.

DWD Die Smigielski – Mogil – Burt Vorhersagetechnik fuer aussertropische Tiefdruckgebiete 1

Im Bild links und in der Mitte ist das Wasserdampfbild abgebildet, wobei das linke Bild die oberen Bereiche und das mittlere die tieferen Bereiche der Troposphäre zeigt. Je roter/schwärzer, umso trockener ist die Luftmasse. Rechts ist das RGB – Wolken Tag und Nacht-Bild eingebaut. Je weißer die Farbe, umso hochreichender (vereister) ist die Bewölkung.

Es ist eindrücklich zu erkennen, dass KILIAN zu diesem Zeitpunkt ein veritables Sturmtief war, denn besonders im rechten Bild erkennt man einen wunderschönen Wolkenkringel. Wenden wir nun die SMB Technik an.

DWD Die Smigielski – Mogil – Burt Vorhersagetechnik fuer aussertropische Tiefdruckgebiete 2

Dazu setzen wir die logarithmische Spirale auf das Satellitenbild und rotieren sie so lange, bis sie alle wichtigen Bereiche abdeckt. Anschließend muss man nur noch die Zehntel der Spirale abzählen zwischen dem Beginn des gekrümmten Wolkenkringels (in der Meteorologie dank seines Aussehens als der „Hammerkopf“ bezeichnet) und dem Bereich, wo sich die Spirale dem rückseitigen Ende des baroklinen Bandes parallel nähert. In diesem Fall können wir auch die Vorderseite des Bandes nehmen, dank seiner parallelen Ausrichtung. Nun erhalten wir einen Wert von 7.5 Zehntel und wenn man das mit dem Entscheidungsbaum abgleicht (rechts oben) kommen wir auf rund 970 hPa (abzüglich 1 oder 2 hPa, da der Kommakopf weiter anwächst und sich dem 8. Zehntel nähert). Von daher ist eine Intensitätsabschätzung von rund 970 hPa sehr plausibel und wurde gegen 11 Uhr MESZ von der Boje K2 mit etwas unter 970 hPa bestätigt (zu dem Zeitpunkt bereits wieder auffüllend).

Wofür ist diese Technik heutzutage also noch gut? Zunächst muss man im Hinterkopf behalten, dass die Technik trotz ihrer Stärken nur eine Näherung darstellt und in einigen Fällen auch versagen kann (wenn z.B. eine Tiefdruckentwicklung nicht nach einem typischen Schema abläuft). Im besten Fall kann man sein Ergebnis mit realen Messwerten vergleichen und ggf. den abgeschätzten Wert anpassen. Die Stärke dieser Technik, auch in der heutigen, technisch beinahe schon überfrachteten Zeit, ist aber vor allem in der einfachen Handhabung zu finden, denn mit nur einem Bild und dem Wissen der bisherigen Entwicklung lassen sich recht schnell gute Intensitätsabschätzungen erzielen. Selbst heute kann man dann z.B. abschätzen, inwieweit die Realität im Satellitenbild mit der numerischen Interpretation übereinstimmt und inwieweit den numerischen Vorhersagen zu trauen ist. Vor allem für marine Vorhersagen/Schiffsberatungen in datenarmen Bereichen ist diese Vorhersagetechnik von daher sicherlich von Interesse, insbesondere wenn auf den Schiffen nur eine begrenzte Datenübermittlung möglich ist.

Dipl. Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 12.10.2023
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst