„Wohlfühlsommer“ – subjektiv oder objektiv?
In diesem Jahr erleben wir bisher einen typisch mitteleuropäischen „Wohlfühlsommer“. Aber wovon hängt es ab, ob wir uns bezüglich Wetter und Temperaturen wohlfühlen?
Am heutigen 15. Juli haben wir genau die erste Hälfte des meteorologischen Sommers hinter uns. Mehrtägige Hitzewellen mit Temperaturen über 30 Grad wie in den vergangenen beiden Jahren blieben bisher aus. Sogar einzelne Hitzetage (Höchsttemperatur ab 30 Grad) waren im diesjährigen Sommer die Ausnahme. Selbst in den wärmsten Regionen Deutschlands wurden bisher nur 1 bis 3 (vereinzelt 4, in Hoyerswerda 5) Hitzetage gezählt und an mehr als der Hälfte aller Wetterstationen stieg die Temperatur noch kein einziges Mal über die 30-Grad-Marke. Während in den letzten Jahren Hitze und neue Temperaturrekorde für Schlagzeilen sorgten, ist es in diesem Jahr der oft zitierte „Wohlfühlsommer“. Doch wann man eine Temperatur als angenehm empfindet und ob es objektive Anhaltspunkte für eine Wohlfühltemperatur gibt, schauen wir uns heute an.
Ob man sich bei gewissen Umgebungsbedingungen wohlfühlt, hängt in erster Linie vom Wärmehaushalt des menschlichen Organismus ab. Damit der Körper sich nicht zu stark aufheizt oder nicht auskühlt, besitzt der Mensch eine Reihe von Regulationsmechanismen. Ein Beispiel hierfür ist das Schwitzen zur Abkühlung an der Hautoberfläche. Dies und weitere Regulationen haben alle das Ziel, den Wärmegewinn und die Wärmeabgabe des Menschen im Gleichgewicht zu halten.
Der Wärmehaushalt des Menschen hängt von vielen Faktoren ab. Zu allererst spielen Körpergröße und Gewicht sowie der Gesundheitszustand jedes einzelnen Menschen eine entscheidende Rolle. Zudem hat die körperliche Betätigung einen großen Einfluss auf den Wärmehaushalt. Es macht einen merklichen Unterschied, ob sich jemand im Schatten im Liegestuhl ausruht oder ob zur gleichen Zeit ein Bauarbeiter in der Sonne einer schweren körperlichen Arbeit nachgeht. Das Wohlbefinden des menschlichen Körpers kann zudem mit angemessener Kleidung beeinflusst werden. So kann man im Winter mit warmer Kleidung dem Frieren entgegenwirken und sich im Sommer mit luftiger Kleidung vor Überhitzung schützen. Aufgrund der genannten Faktoren, die von Mensch zu Mensch unterschiedlich und abhängig von der körperlichen Betätigung sind, ist klar, dass es DIE Wohlfühltemperatur nicht gibt. Die Subjektivität wird schon alleine bei der Beobachtung der Leute klar: Während Frau Schuster noch mit langer Hose und Jäckchen einen Kaffee schlürft, genießt Herr Scheider am Tisch nebenan sein Erfrischungsgetränk schon mit kurzer Hose und T-Shirt.
Zu guter Letzt ist natürlich das Wetter der entscheidende Faktor, ob sich der Mensch wohlfühlt oder nicht und das Wetter selbst kann man auch nicht beeinflussen. Neben der Temperatur spielen Luftfeuchtigkeit, Wind, Sonnen- und Wärmestrahlung der Atmosphäre eine Rolle. Während Wärmestrahlung den Körper aufheizt, besitzt Wind eine kühlende Wirkung. Durch den Wind verdunstet nämlich der Schweiß auf der Haut schneller als bei Windstille und jede Form der Verdunstung sorgt für Abkühlung (Verdunstungskälte). Außerdem ist die Verdunstung auf der Haut umso effektiver, je geringer die Feuchtigkeit in der Luft ist. Bei hoher Luftfeuchtigkeit kann der Schweiß hingegen schlecht verdunsten, man spricht dann von „Schwüle“. All diese Wetterfaktoren in Kombination entscheiden darüber, wie warm sich eine gewisse Lufttemperatur anfühlt. Damit sind wir bei der „gefühlten Temperatur“ angekommen, die das thermische Empfinden des Menschen beschreibt und je nach Wetterbedingungen stark von der gemessenen Lufttemperatur abweichen kann.
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) berechnet die gefühlte Temperatur mit dem sogenannten „Klima-Michel-Modell“. Dieses Wärmehaushaltsmodell berechnet den Energieumsatz einer Standardperson, die den jeweiligen Wetterbedingungen ausgesetzt ist. Sie ist männlich, 35 Jahre alt, 1,75m groß, 75kg schwer und bewegt sich mit Schrittgeschwindigkeit (4km/h). Um realistische Bedingungen zu erzeugen, passt (Klima)-Michel seine Kleidung dem Wetter an. Im Sommer trägt er ein kurzärmliges Hemd, eine leichte lange Hose und Sandalen.
Mit der berechneten gefühlten Temperatur kommt nun doch etwas Objektivität in die Sache. Auch wenn die Wohlfühltemperatur wie bereits erwähnt sehr individuell ist, wird eine gefühlte Temperatur zwischen 0 und 20 Grad als „behaglich“ eingestuft, da der Mensch (angemessene Kleidung vorausgesetzt) üblicherweise wenig Energie aufbringen muss, um den Wärmehaushalt des Körpers im Gleichgewicht zu halten. Verlässt der Mensch seine Komfortzone, was bei zunehmender Abweichung eine Belastung für Herz und Kreislauf darstellt, spricht man von Kältestress oder Wärmebelastung (siehe beigefügte Tabelle).
Der DWD stellt Ihnen im Internet (siehe Link) und in der WarnWetterApp (unter „Naturgefahren“) Farbkarten zum thermischen Empfinden zur Verfügung. Zudem warnt der DWD vor Hitze. Wird für einen Ort an zwei Tagen in Folge eine gefühlte Temperatur über 32°C und eine geringe nächtliche Auskühlung erwartet, wird vor einer „starken Wärmebelastung“ gewarnt. Liegt die gefühlte Temperatur über 38°C, wird eine Warnung vor „extremer Wärmebelastung“ ausgegeben.
Tatsächlich mussten in diesem Sommer bisher kaum Hitzewarnungen ausgegeben werden. Somit kann man den typisch mitteleuropäischen Sommer durchaus als „Wohlfühlsommer“ bezeichnen. Obwohl am gestrigen Dienstag die Temperatur mit Ausnahme des Nordwestens auf sommerliche 24 bis 30°C stieg, wurde dies nur als leicht warm bis warm empfunden (siehe Abbildung). Das lag vor allem an der sehr geringen Luftfeuchte (Taupunkte: 4 bis 10°C) – Schwüle war also kein Thema. Hinter einer Kaltfront fließt nun kühlere polare Meeresluft ein, sodass sich die Temperaturen am heutigen Mittwoch und auch morgen fast überall behaglich anfühlen. Erst am Wochenende wird es wieder spürbar wärmer. Nach einer ausgewachsenen Hitzewelle sieht es allerdings nicht aus.
Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach, den 15.07.2020
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